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Wenn die Osthölle tobt

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Die 46ers-Fans feiern ihren verletzten Star: »Fundic werd gesundic« bleibt allerdings ein Wunschtraum. Stefan Fundic fällt diese Saison aus. Foto: Schepp © Schepp

Gießen. Justin Martin möchte den Boden gar nicht mehr verlassen, der an diesem frühen Sonntagabend für ihn die Basketball-Bretter der Welt bedeutet haben. Der US-Spieler der Gießen 46ers steht noch eine Dreiviertelstunde nach Abpfiff des zweiten Playoff-Halbfinals der ProA in der Osthalle. Mit einem breiten Grinsen, das gar nicht enden mag, erzählt der Matchwinner, wie es gelungen ist, den großen Favoriten von Rasta Vechta mit 79:

76 zu stürzen.

Während Martin drinnen noch sein wohl bestes Spiel in Diensten der Mittelhessen Revue passieren lässt, feiern die Fans draußen den großen Coup. »Die letzte Minute«, berichtet ein kleiner Knirps seinen Eltern mit roten Backen, »die war sooo spannend.« Und in der Tat war es diese letzte Spielminute, die einmal mehr die Osthalle endgültig zur Osthölle verwandelte. In der die kleine Schar der letzten aufrechten, weil nicht fußlahmen 46ers ein fast schon verloren geglaubtes Spiel noch drehte. Und am Ende regelrecht fassungslose Vechtaer zurückließ. Vechtaer, die sich nun am Mittwoch (19.30 Uhr) in ihrem zweiten Heimspiel auf was gefasst machen müssen. »Da fahre ich hin. Egal wie und egal, was es kostet«, sagt vor der Halle ein junger 46ers-Fan zu seinen Kumpels. Und erntet beifälliges Nicken. So dürfte die kleine niedersächsische Stadt eine mittelschwere mittelhessische Invasion erleben. Die Gießener wollen ihre Jungs am Mittwoch zum zweiten Streich führen. Doch der zweite Streich fällt immer schwerer als der erste.

Ob sich die Rasta-Männer nochmals derart heftig an ihren Dreadlocks ziehen lassen? Ob die verbliebenen Leistungsträger der Universitätsstädter nochmals eine wahre Flut von Dreiern auf den Favoriten regnen lassen können? Ob Jordan Barnes, Nico Brauner und eben Justin Martin nochmals einen derartigen Kraftakt leisten können? Das sind die Fragen. Die Fragen, die sich angesichts der Ausfälle der Leistungsträger Stefan Fundic und Enosch Wolf regelrecht aufdrängen. Am Willen wird es nicht mangeln. Doch ob dieser Wille alleine ausreicht, den Basketball-Berg namens Vechta zu versetzen, wird spannend mit anzusehen sein. Wenn es allerdings einer schafft, die Mannschaft zur nächsten Willensleistung anzuspornen, dann Frenki Ignjatovic. Wenn Justin Martin mit seinem Dreipunkte-Wurf, mit seinem Defensivrebound, seinem gezogenen Foul und dem verwandelten Freiwurf zum 79:76-Endstand der Held auf dem sonntäglichen Parkett war, dann ist der Trainer der Held der gesamten Saison. Der Mann hat eine verschworene Gemeinschaft aufs Parkett gezaubert, in der sich vielleicht nicht alle lieben, aber jeder für den anderen kämpft. »Frenki«, sagt dann auch 46ers-Medienchef Daniel Rohm bei der Vorbereitung der Pressekonferenz mit einem Lachen, »braucht jetzt erstmal ein Bier.« Und stellt das kalte Getränk nach dem heißen Spiel vor den Platz des Coachs.

»Wir«, analysiert Ignjatovic danach, »haben Vechta zu 19 Turnovers gezwungen. Das ist eine sensationelle Leistung.« In der Tat hatten seine Mannen um jeden Ball wie hungrige Löwen um das arme Zebra gekämpft. Das bestätigt auch Nico Brauner nur gar zu gerne: »Das war ein toller Kampf von uns. Vor allem in der Abwehr.«

Ein toller Kampf wiederum, der ohne die schier unglaubliche Unterstützung der exakt 3012 Zuschauer nicht möglich gewesen wäre. »Unsere Fans«, sprudelt es auch direkt nach dem Abpfiff aus Geschäftsführer Jonathan Kollmar heraus, »sind einzigartig. Ich will, dass das Ding hier am Freitag ausverkauft ist.« Das Ding, das an diesem Sonntag tatsächlich von einer anderen Welt zu sein scheint. Das Ding namens Osthalle soll noch einmal Vechta das Fürchten lehren. Oder sogar in den Abgrund stoßen? Mit einem Coup am Mittwoch hätte Gießen dann am Freitag (19.30 Uhr) sogar Matchball. Doch der Aufstiegsanwärter hat noch kein Spiel in eigener Halle verloren. Was also spricht für die 46ers? »Wille und Charakter«, sagt Brauner und fügt voller Überzeugung an: »Wir haben richtig Bock, Vechta nochmal zu ärgern.« Und sein Trainer wähnt gar himmlische Mächte im Spiel, als er erklären soll, was nicht zu erklären ist, nämlich warum eine derart dezimierte Truppe einen derartigen Paukenschlag landen kann. »Der liebe Gott hat gewollt, dass wir gewinnen«, sagt Ignjatovic mit einem Lächeln. Der liebe Gott als Gast in der Osthölle? Basketballer sind halt keine Theologen.

Sollte der liebe Basketball-Gott die 46ers gar zum Auswärtsstreich führen, dann dürfte die Osthalle am Freitag aus allen Nähten platzen. Und sollte danach der kleine Knirps wieder mit hochroten Wangen von der letzten Minute schwärmen, dann dürfen sogar Bundesliga-Träume in Gießen erblühen.

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