50 Prozent über Quorum

Die BI »Rettet die Bäume am Schwanenteich!« reicht die letzten der 5281 Unterschriften für das Bürgerbegehren bei der Stadt Gießen ein.
Gießen. Auch ein Wortscharmützel mit zwei Kräften des Ordnungsamtes konnte die Euphorie unter den sich vor der Rathaustür Versammelten nur kurzzeitig bremsen. Ein gutes Dutzend Mitstreiter der Bürgerinitiative (BI) »Rettet die Bäume am Schwanenteich!« hatte sich dort am Mittwochmorgen eingefunden. Es war für die drei Vertrauensleute des Bürgerbegehrens gegen den Kahlschlag einer Uferlängsseite am Schwanenteich der letzte von mehreren Terminen, um beim Wahlamt die restlichen gesammelten Unterschriften für einen Bürgerentscheid abzugeben. Gestern, am 30. November, endete die Acht-Wochen-Frist für ein kassatorisches Bürgerbegehren, das den Beschluss des Stadtparlamentes vom 5. Oktober zur Sanierungsvariante des Dammweges am Schwanenteich »einkassieren« (als nichtig erklären) will.
Rodungsfreie Variante
Voller Stolz war die Zahl von 5269 Unterschriften auf einem Schild plakatiert. Diese Hausnummer war zu diesem Zeitpunkt bereits, wenn auch lediglich marginal, überholt. Zwölf kamen am frühen Morgen noch »auf den letzten Drücker« hinzu. Im Rathaus erfuhren die Vertrauensleute von den beiden Wahlamtsleiterinnen Tabea Heipel-Krug und Verena Schmidt, dass eine weitere Abgabe von Unterschriftslisten gar nicht mehr notwendig gewesen sei. Denn von den bisher 3640 eingegangenen Eintragungen seien von ihrem Amt nach sorgfältiger Prüfung 3380 als gültig anerkannt worden und damit das Quorum von 3214 für einen Bürgerentscheid bereits erfüllt. Trotzdem würden auch die neuen 1641 gerade ausgehändigten Unterzeichnungen umgehend geprüft.
Abgegeben wurden auch 851 Unterzeichnungen von nicht wahlberechtigten Unterstützern aus dem Umland. Damit sind es insgesamt mehr als 6000 Unterschriften, die die Helfer der BI innerhalb von nur acht Wochen eingesammelt hatten. Rechnet man die bisherige Quote der Anerkennungen von 93 Prozent auf die 5281 insgesamt abgebenen Unterschriften hoch, dann würden mehr als 4800 davon gültig sein. Dies wären 50 Prozent mehr, als für einen Bürgerentscheid - 3214 - erforderlich sind.
Befragt vom Anzeiger äußerten sich die drei Vertrauensleute: Klaus Hass wünscht sich nichts mehr als »ein Einlenken des Rathauses auf eine rodungsfreie Variante.« »Absolut glücklich« ist Dietmar Jürgens, der sich als Diplom-Biologe und Vogelkundler freut, »dass es der Vogelwelt nicht an den Kragen geht.« Gerhard Keller sinnierte für einen Moment: »Wenn die (gemeint die Stadt) das ablehnen sollte, bei so viel Rückenwind aus der Bevölkerung für das Bürgerbegehren....« Keller kann sich das jedoch nicht vorstellen und gibt sich optimistisch. Wie geht es nun weiter mit dem Bürgerbegehren? Genügend zeitlichen Vorlauf sollte es gegeben haben, damit es am kommenden Montag, 5. Dezember, in der Haupt- und Finanzausschusssitzung behandelt werden kann.
Sitzung am nächsten Montag
Sodann stünde es am 15. Dezember auf der Tagesordnung der Sitzung der Stadtverordneten, die darüber zu beschließen hätten. Diese könnten wie vor zehn Jahren beim ersten Bürgerbegehren gegen die Landesgartenschau 2014 dieses aus formalen Gründen zurückweisen, weil der Text des Bürgerbegehrens die gesetzlichen Anforderungen nicht einhält. Das ist aktuell nicht vorstellbar, da das städtische Rechtsamt bei der Textformulierung Hilfestellung geleistet hat.
Die zweite Möglichkeit wäre, wie beim zweiten Bürgerbegehren anno 2012 »Rettet den Schwanenteich!« das Bürgerbegehren zu erfüllen, sodass ein Bürgerentscheid überflüssig wäre. Dann dürfte die Stadt mindestens drei Jahre lang nicht entgegen dem Bürgerbegehren handeln. Das bedeutet: Erhalt des Bewuchses mit Bäumen und Sträuchern auch auf der Teichuferseite des Dammweges. Widerspricht sie dem Bürgerbegehren, erfolgt zwangsläufig ein Bürgerentscheid. Der muss innerhalb eines Zeitfensters von drei bis sechs Monaten nach dem Beschluss des Stadtparlamentes an einem Sonntag durchgeführt werden. Frühestens könnte dies demnach am 19. März und spätestens am 11. Juni 2023 geschehen. Organisation und damit auch die Kosten dieser Wahl muss die Stadt übernehmen. Auch Briefwahl muss möglich sein.
Damit die BI diesen Bürgerentscheid gewinnt, muss zum einen die Mehrheit der abstimmenden Bürger für die Fragestellung stimmen. Und diese Mehrheit muss mindestens 20 Prozent der stimmberechtigten Bürger betragen. Für Gießen bedeutet dies bei nahezu 65 000 Wahlberechtigten: Fast 13 000 müssen mehrheitlich zustimmen.
Verliert die BI den Bürgerentscheid, kann die Stadt mit dem von ihr geplanten Abholzen der Bäume im nächsten Oktober beginnen.