600 Tage in Haft ohne Gerichtsverfahren

Gießen (red). Auf die Bedrohung und Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten wollen Studierende der Justus-Liebig-Universität (JLU) aufmerksam machen. Im Jahr 2008 gründeten sie die Initiative »Gefangenes Wort«, die sich längst zu einem Verein weiterentwickelt hat. Um noch intensiver auf Einzelschicksale hinzuweisen, kooperiert der Anzeiger mit dem Verein und stellt monatlich einen Fall vor.
Heute berichtet Madelyn Rittner über den Journalisten Paul Chouta aus Kamerun.
Platz 118 von 180
Kamerun ist auf Platz 118 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Nach der letzten Präsidentschaftswahl 2018 begann Paul Biya seine siebte Amtszeit und regiert damit seit knapp mehr als 40 Jahren das Land. Dabei werden seine häufigen Abwesenheiten vom Land, die er regelmäßig in der Schweiz verbringt, ebenso kritisiert, wie die nachteilige Behandlung der englischsprachigen Bevölkerung des Landes. Das Präsidentschaftsamt übernahm Biya im November 1982 vom ersten Präsidenten des Landes, Ahmadou Ahidjo, der 1983 ins Exil ging. 2008 ließ er die zeitliche Begrenzung der Amtszeit aufheben, um weiter regieren zu können.
Die Zahlen sprechen für die sich seit Jahren steigernden Probleme der Pressefreiheit in Kamerun:
2017 wurde in keinem anderen afrikanischen Land häufiger das Internet unterbrochen. Ein 2014 eingeführtes Antiterrorgesetz, das es erlaubt die Bevölkerung vor einem Militärgericht zu verurteilen und auch die Todesstrafe auszusprechen, wird laut Front Line Defenders genutzt, um politische Gegner und Menschenrechtsaktivist*innen zu kriminalisieren. So ist u.a. der frühere Chef des staatlichen Rundfunks seit 2016 in Haft. Viele Medienschaffende zensieren sich aus Angst selbst.
Körperliche Angriffe
Auf individueller Ebene sind die Zahlen nicht weniger drastisch, wie der Fall des Journalisten Paul Chouta verdeutlicht: Drei gewalttätige Angriffe ohne Konsequenzen für die Täter, ein Gerichtsurteil, das 27 Mal aufgeschoben wurde, eine Verurteilung zu 23 Monaten im Gefängnis, mehr als 600 Tage in Haft ohne Gerichtsverfahren und eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 3200 Euro.
Doch von Vorne: Paul Chouta ist Menschenrechtsaktivist, Whistleblower und arbeitet als Journalist für die Nachrichtenwebseite Cameroon Web. Er ist zudem mitverantwortlich für die Nachrichtenseite Le TGV de l’info auf Facebook. Chouta berichtet kritisch über die Ungerechtigkeiten im Land, eine Tätigkeit, die bei weitem nicht ungefährlich ist. Bereits dreimal wurde der Journalist für seine Arbeit körperlich angegriffen. Zuletzt im März 2022, wie u.a. das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) berichtete. Chouta, der mit Freunden ein Fußballspiel in einer Bar schaute, wurde in der Halbzeitpause von mehreren Männern angegriffen und in einem Pick-up an den Stadtrand verschleppt. Dort wurde er brutal zusammengeschlagen und im Anschluss bewusstlos zurückgelassen. »Sie sagten, ich sei stur und würde meine Lektion nicht lernen«, erklärte der Medienschaffende gegenüber CPJ. Chouta überlebte schwer verletzt und zunächst unfähig auf dem linken Auge zu sehen. Er musste nackt, barfuß und aller Dokumente beraubt drei Kilometer laufen, bevor er Hilfe fand und ins Krankenhaus gebracht werden konnte. CPJ kritisierte die mangelnde polizeiliche Aufklärung des Angriffes, für den bisher niemand verhaftet wurde.
Paul Chouta selbst wurde im Mai 2019 - vier Monate nach einem damaligen Angriff - für fast zwei Jahre inhaftiert. Verhaftet und verurteilt wurde er aufgrund einer Verleumdungsklage von einer Autorin. Ein Video, das Chouta von ihr geteilt hatte, wurde laut der American Bar Association, die den Fall verfolgte und zahlreiche Aspekte des Verfahrens als unzulässig kritisierte, jedoch bereits vorher im Internet verbreitet. Sowohl der englische PEN als auch CPJ kritisierten das Verfahren als politisch motiviert und unverhältnismäßig. Erst im Mai 2021 wurde das Urteil gegen Chouta ausgesprochen: 23 Monate Haft.
Politisch motiviert
Da er die Strafe bereits abgesessen hatte, wurde er entlassen. Unter dem politischen Druck und dem Risiko weiterer gewalttätiger Angriffe, bleibt Choutas journalistische Arbeit weiter sehr gefährlich.