»Aktuelle Kriege beenden«

Demonstranten in Gießen fordern »aktuelle Kriege zu beenden und Frieden zu gewinnen«.
Gießen. Nicht nur Ostereier und Osterhasen haben hierzulande eine lange Tradition. Der Ostermarsch - von pazifistischen oder antimilitaristischen Motiven getragene politische Ausdrucksform der Friedensbewegung - zählt in Gießen auch dazu. Erneut hatten das Friedensnetzwerk und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für den Ostersamstag zu Kundgebung und Demonstration aufgerufen. Nach dem Auftakt am Katharinenplatz mit 150 Teilnehmern zog der Tross über Seltersweg, Marktplatz, Sonnenstraße und durch das Wochenmarktgeschehen zum Regierungspräsidium am Landgraf-Philipp-Platz.
Lennartz fordert Zeitenwende
Zum Motto des diesjährigen Ostermarsches - »Die aktuellen Kriege beenden, den Frieden gewinnen« - sprach Stadtverordnete Martina Lennartz (DKP). Die Kriege fänden statt, da geopolitische und finanziellen Interessen dahintersteckten. »Weil die Rüstungsindustrie und viele andere Konzerne sehr gut daran verdienen.« Lennartz forderte eine andere Zeitenwende als die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte zur Rüstung. »Wir wollen eine Zeitenwende im Gesundheitswesen, in der Pflege, in der Bildung, in der Wohnraumversorgung, beim Klimawandel, für den Frieden und für Klimagerechtigkeit.« Geld sei genug da. »Es ist nur falsch verteilt.« Lara Herrlich (Linke) geißelte die kapitalistische Gier der westlichen Welt. So seien für deren Befriedigung 160 Millionen Menschen in Kinderarbeit eingespannt. »Für günstige Produkte wie Kleidung, Bestandteile von Smartphones oder E-Autos.«
Friedenspreisträger Werner Ortmüller sagte, dass Rüstungsbetriebe in der westlichen Welt nicht nur Waffen und Munition produzierten, sondern dabei auch umweltschädliche Gase. Seine Aufforderung: »Zeigen wir unseren Mitbürgern, dass auf dieser kranken Erde Friedenskämpfer leben, die nicht der Gier des Kapitalismus erlegen sind!« DGB-Kreisvorsitzender Klaus Zecher versicherte: »Wir werden uns nicht aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Religion oder Behinderung spalten lassen.« Auch in diesem Jahr werde mit den Ostermärschen wieder ein starkes Zeichen für Frieden, Rüstungskontrolle und Abrüstung, für die Achtung der Menschenrechte und für mehr soziale Gerechtigkeit gesetzt.
Ute Bender und Moni Lux vom Friedensnetzwerk beklagten, dass die Kriegskredite unter dem Tarnnamen »Sondervermögen« die Deutschen »bald 100 Milliarden Euro« kosteten. Sie sagten zu den deutschen Sanktionen gegen Russland, zu jedem weiteren Kriegstag, der Rolle Deutschlands als Drehscheibe von Nato und USA für ihre Kriegseinsätze in aller Welt: »Das alles wollen wir nicht.« Sie verlangten ein konsequentes Umdenken und Handeln der politisch Verantwortlichen entsprechend ihrem Amtseid: Schaden von »uns« abzuwenden und »uns« zum Nutzen zu sein. »Von deutschen Boden darf nur Frieden ausgehen.«
Ursprünge der Bewegung
Die Ursprünge des Ostermarsches gehen auf Bertrand Russell und britische Atomwaffengegner zurück, die 1957 in Aldermaston bei London erstmals für nukleare Abrüstung marschierten. Naturfreunde aus Hamburg versuchten, diesen Protest auch in Deutschland zu etablieren. 1960 dann die ersten Ostermärsche hierzulande. 1973 gründete sich in Gießen die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Es folgten viele Friedensinitiativen. Tilman Kissenkoetter, inzwischen mit Wohnsitz im Taunus, war einer der heimischen Hauptaktivisten. Er war unter anderem beteiligt an Aktionen in den 70er und 80er Jahren gegen das US-Atomwaffenlager in Buseck. Unter seiner Ägide wurde die Goethestraße als erste atomwaffenfreie Straße in Gießen deklariert. Besonders erinnert er sich an die Demonstrationen gegen die Stationierung der US-Pershing-Raketen in Deutschland. Zu einer Friedensdemonstration gegen diese in Bonn, der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik, habe der Gießener Ex-Politiker Lothar Schüler sich damals zusammen mit Klaus Zecher, dem einstigen Jugendvertreter bei der Deutschen Bundesbahn, dafür eingesetzt, dass 50 Sonderzüge Sternmarschteilnehmer nach Bonn befördern konnten. Michael Janitzki bestätigte, 30 Busse für diesen Aktionstag organisiert zu haben, die von Gießen aus mit Teilnehmern der Demo nach Bonn aufgebrochen waren. Den Reden auf dem Katharinenplatz wohnten viele dieser Ostermarschaktivisten der ersten Jahre der Bewegung bei. Neben Gernot Linhart von der DKP waren dies etwa die langjährige Aktivistin der Friedensbewegung Christa Schreyer, Janitzki, Zecher und Kissenkoetter, der nach drei Jahrzehnten wieder einmal an seiner früheren Wirkungsstätte Halt gemacht hatte. Sie tauschten Erinnerungen aus, wie sie unter vielem anderen in den 80er Jahren gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in Deutschland demonstriert hatten.