Alltagsrassismus am Elefantenklo

Gießen ist nicht immer bunt: Betroffene berichten von Diskriminierung und Anfeindungen
Gießen . Seine »erste Rassismuserfahrung« hat Anton auf der Toilette einer Bar in der Frankfurter Straße gemacht. Da er es versäumt hatte, die Kabine wieder zu schließen, raunte ihn ein anderer Gast unflätig an: »Gab’s keine Türen, wo Du aufgewachsen bist in der Höhle?« Gefolgt von einer üblen Titulierung. »Es war mir nicht wert, mich mit so jemandem anzulegen«, sagt der 21-Jährige. Deshalb sei er einfach gegangen.
Wer Gießen online sucht, stößt auch auf den Hinweis auf eine »Stadt in Bewegung mit kultureller Vielfalt«, überregional ebenfalls bekannt als Standort der Erstaufnahmeeinrichtung. Offenheit und Toleranz werden entsprechend regelmäßig hervorgehoben, wenn es darum geht, Gießen zu charakterisieren. Das stimmt auch prinzipiell, bestätigt Desiree Becker, Jugendbildungsreferentin des DGB Mittelhessen, die kürzlich die Demo zum dritten Jahrestag der rassistisch motivierten Morde in Hanau mitorganisiert hat.
Gleichzeitig weiß sie, dass Fremdenfeindlichkeit auch in Gießen auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommt: verbal oder rabiat, subtil oder ganz offen. Einige Rednerinnen und Redner bei der Demo berichteten selbst von Alltagsrassismus, den sie Woche für Woche erlebten - weil sie eine andere Haut- und/oder Haarfarbe haben und »nicht als genuin deutsch angesehen werden«.
Auch Daniel erinnert sich an eine solche Erfahrung, als er mit einem Freund am Elefantenklo an einer Gruppe vorbeilief. »Ein Mädel aus dieser Gruppe hat mich zunächst sehr komisch angeschaut. Ich dachte, ich erwidere das mit einem Lächeln, das hat sie direkt falsch aufgenommen«, erzählt er im Gespräch mit dem Anzeiger. »Guck’ mich nicht so an«, habe sie ihn angeblafft und ihn als »scheiß Asylant« beschimpft. »Das hat mich schockiert.«
Als er ihr sagte, dass sich so etwas nicht gehöre, habe das Mädchen behauptet, er sehe aus, wie diese »typischen« Ausländer, die Frauen schlagen würden. Damit nicht genug, habe sie ihm selbst aus dem Nichts ins Gesicht geschlagen. »Das war ein großer Schockmoment für mich, diese Situation hat mich sehr geprägt«, sagt der Student.
Trotzdem sei er der Fremden gegenüber ruhig geblieben und ihr geantwortet: »Wenn es Dich glücklich macht, jemandem, der so aussieht wie ich, in die Fresse zu hauen, dann schließe ich jetzt meine Augen, Du kannst mich als Deinen Dummy betrachten und Deine ganze Wut rauslassen.« Das scheint sie wiederum völlig überrascht und konsterniert zu haben. Denn plötzlich habe das Mädchen angefangen zu weinen, habe ihn umarmt und zugegeben, ihn falsch eingeschätzt zu haben. »Danach haben wir uns eigentlich gut verstanden.«
»Racial Profiling« beim Einlass
Nicht immer äußert sich Rassismus so direkt. Anton etwa musste schon beobachten, wie einer Frau der Platz in einem Gießener Lokal verwehrt worden sei - »angeblich war schon letzte Runde«. Andere Gäste hätten danach aber noch über eine Stunde lang Getränke bestellen können.
Dass Menschen, die als »anders« wahrgenommen werden, der Eintritt in Bars oder Diskotheken zumindest erschwert werde, sei kein Einzelfall. Samuel berichtet zum Beispiel von einer Studentenparty: »Der Türsteher hat die Leute ziemlich langsam reingelassen, hat aber nie kontrolliert, daher dachten wir: alles easy.« Samuel und sein Bruder indes sollten ihm ihren Ausweis vorlegen. Obendrein habe der Security-Mitarbeiter die »Jungs« ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies eine Studentenparty sei. Erst nach eindringlicher Überprüfung von Studenten- und Personalausweis durften die beiden den Club betreten. »Aber wir sind echt nur noch halbherzig reingegangen, hatten eigentlich keine Lust mehr, weil wir uns so aussortiert gefühlt haben.«
Ein ehemaliger Barkeeper und Kellner, der in verschiedenen Clubs in Gießen gearbeitet hat, seinen Namen jedoch nicht veröffentlicht haben möchte, bestätigt diesen Eindruck. Die Kontrollen an der Tür seien grundsätzlich unverzichtbar, um den Schutz der Mitarbeiter und der Gäste zu gewährleisten. Aber die Auswahl, wer reingelassen werde und wer nicht, »hat für mich schon fast Züge von ›Racial Profiling‹«. Aussortiert würden in erster Linie Männergruppen, insbesondere mit Migrationshintergrund - vor allem dann, wenn sie die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschten.
Dass die Sprache ein ganz wesentlicher Faktor ist, weiß auch Desiree Becker. Aus diesem Grund befürwortet sie Sprachkurse ausdrücklich: »Ich wünsche mir, hoffe und kämpfe dafür, dass wir die Zwei-Klassen-Politik gegenüber Geflüchteten überwinden und diese Chance allen Menschen geben können, die hier in Deutschland ein neues Leben beginnen möchten«, fasst sie zusammen.
Aber was kann getan werden, um dieses Ziel zu erreichen? Der DGB setzt auf Bildungsangebote: Mit dem »Bündnis Hanau gedenken« werde beispielsweise eine Multiplikatorenrolle eingenommen. »Wir sehen uns in der Verantwortung, das Thema Rassismus immer wieder durch unsere Veranstaltungen oder über Plattformen in den öffentlichen Diskurs zu bringen«, betont Becker.
Prävention gegen Diskriminierung
Bruno Mayer, Jugendbildungsreferent der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, pflichtet ihr bei. Auch in seiner Branche komme es zu Anfeindungen und Diskriminierungen. Mithilfe von Seminarreihen werde dann versucht, Kolleginnen und Kollegen sowie Betriebsräte zu schulen und gegen Ressentiments im Betrieb und in der Berufsschule präventiv vorzugehen.
Daneben können Betroffene auch extra eingerichtete Beratungsstellen aufsuchen. Rassismus ist »diejenige Diskriminierungsform, die bei uns am häufigsten thematisiert wird«, erklärt Leila Seidel vom Antidiskriminierungsnetzwerk Mittelhessen. Verfolgt werde dort ein »horizontaler Ansatz« für jegliche Form der Diskriminierung. Betroffene können über ihre Erfahrungen reden, teilweise werden sie bei Gesprächen mit den Aggressoren begleitet, etwa wenn sich der Rassismus am Arbeitsplatz ereignet hat. »Da kommt es gelegentlich vor, dass wir zuerst einmal ein Bewusstsein schaffen müssen, dass es sich im konkreten Fall bereits um Diskriminierung handelt«, berichtet Seidel.
Und egal, ob es einer emotionalen Aussprache oder einer juristischen Beratung bedarf - die Unterstützung sei stets den individuellen Ansprüchen angepasst und helfe den Betroffenen, »ihren eigenen Weg im Kampf gegen die Diskriminierung zu finden«. Die Resonanz auf diese Herangehensweise sei bisher sehr positiv.
Fest steht: Pauschale Lösungen, um Rassismus zu begegnen, gibt es nicht. Nach seinem Erlebnis am Elefantenklo ist Daniel aber sicher, dass bereits ein klärendes Gespräch viel bewirken kann: »Vielleicht hat jemand in seinem Leben bloß falsche Erfahrungen gesammelt.«
Das bedeute natürlich nicht, über alle Menschen gleichermaßen zu urteilen und auf sie ein verfestigtes Bild zu übertragen. Nach der Begegnung mit dem Mädchen am E-Klo hatte er zumindest das Gefühl, dass es ihm gelungen sei, sein Gegenüber ein wenig aufzurütteln und das vorhandene Bild zu verändern. »Nur leider läuft es nicht immer darauf hinaus.«