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Als es im März Weihnachten wurde

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Hoffnung auf Frieden: Kirchenpräsident Volker Jung. Foto: Peter Bongard © Peter Bongard

Am 9. März dieses Jahres erklang in der Stadtmitte von Kiew Musik. An der Stadtgrenze standen Panzer und Truppentransporter. Die russische Armee hatte auf Befehl Putins das Nachbarland Ukraine überfallen. Die Musikerinnen und Musiker des »Kyviv Classic Orchestra« antworteten mit einem kurzen Konzert. Auf dem Maidan-Platz spielten sie Beethovens »Ode an die Freude« mit der Friedensbotschaft, dass alle Menschen Schwestern und Brüder würden.

Mich hat dieses Konzert sehr berührt. Ich musste damals schon an Weihnachten denken. In der Weihnachtsgeschichte, der Geschichte von der Geburt von Jesus Christus, wird erzählt, dass mitten in der Nacht der Himmel plötzlich hell erleuchtet ist. Ein Engel verkündet den Hirten auf dem Feld vor Bethlehem, dass in dieser Nacht der Heiland geboren ist.

Dann singen die Engel ihr Lied, ihr Friedenslied: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.« Mit der Geburt des Kindes in dieser Nacht ist die Botschaft vom Frieden verbunden. Gott wird Mensch, das erzählt diese Geschichte, damit Menschen Frieden finden. Frieden in ihren Herzen und Frieden im Leben miteinander. Beides hängt eng zusammen. Friedliebende Herzen suchen Frieden. Und Frieden zwischen Menschen macht Menschen im Herzen zufrieden. Das alles wird zerstört, wenn Menschen sich bedrohen, Leid zufügen und Leben zerstören.

Jesus redet später davon, wie wichtig es ist, Gott und den Nächsten zu lieben. Er redet sogar von der großen Herausforderung, im Feind den Menschen zu sehen und zu lieben. Ist diese Botschaft wertlos, weil das Leben so oft eine andere Sprache spricht? In diesem Jahr fragen sich das vielleicht mehr als sonst. Der Sozialphilosoph Hartmut Rosa hat vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt: »Alles, was sich mit Weihnachten verbindet, ist in die Krise geraten. Mit dem religiösen Gehalt können immer weniger Menschen etwas anfangen: Jedes Jahr die gleiche Botschaft, jedes Jahr ›Friede auf Erden‹ und doch kein Jahr ohne Krieg.«

Ja, es ist wieder ein Jahr mit Krieg, sogar mit einem Krieg, der uns nah kommt - auch mit den Menschen, die in unserem Land Zuflucht und Schutz suchen. Vielleicht sind dadurch auch viele Erwartungen an Weihnachten in die Krise geraten. Die Weihnachtsbotschaft selber ist es nicht. Es ist gerade das Besondere dieser Geschichte, dass sie davon erzählt, wie verletzlich und schutzlos Menschen sind - so wie das Kind in der Krippe. Sein Leben ist vom ersten Atemzug an bedroht, so wie das Leben jedes Menschen. Das zu entdecken, wirklich mit dem Herzen zu entdecken, macht Menschen einfühlsam, ehrfurchtsvoll und verbindet Menschen mit Gott. Es führt dazu, in allen anderen Menschen Kinder Gottes zu sehen und macht Menschen zu Geschwistern. Das ist Gottes Weg zum Frieden für seine Menschenkinder.

So hallt bei mir an diesem Weihnachtsfest Beethovens Ode ganz besonders nach, die mitten in Kiew erklang. Ich höre so an diesem Fest in den alten Weihnachtsliedern besonders die große Hoffnung auf Frieden. Und ich singe und bete zu Gott: »Verleih uns Frieden gnädiglich.« Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest.

Pfarrer Dr. Volker Jung ist Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

von Kirchenpräsident

Dr. Volker Jung

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