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Auch Gaunersprache fließt ein

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Von: Thomas Wißner

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Vorsitzender Roland Jankofsky, Monika Schreiter, Isabelle Hardt und der Vorsitzende des BdV-Kreisverbandes Wetzlar, Kuno Kutz (v.l.), bei der Veranstaltung. Foto: Wißner © Wißner

Bei einer Veranstaltung des Ortsvereins Kleinlinden/Leihgestern im Bund der Vertriebenen wurde die Arbeit an einem sudetendeutschem Wörterbuch vorgestellt.

Gießen. Ganz im Zeichen jener Ereignisse vor 104 Jahren stand die Gedenkfeier des Ortsvereins Kleinlinden/Leihgestern im Bund der Vertriebenen (BdV) im Evangelischen Gemeindehaus Kleinlinden. Monika Schreiter blickte zurück auf den 4. März 1919, als bei friedlichen Demonstrationen für das Selbstbestimmungsrecht 54 Kinder, Männer und Frauen in sechs Städten Böhmens von tschechischen Militärs niedergeschossen wurden. Die Vertriebenen aus dem Sudetenland begehen am 4. März seitdem den »Tag der Selbstbestimmung« als Gedenktag.

Schreiter ging auch auf die Vorgeschichte dieser Ereignisse ein, das Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November 1918 und den am 28. Juni 1919 in Versailles abgeschlossenen Friedensvertrag: »Das Habsburger Kaiserreich, die Doppelmonarchie ›Österreich-Ungarn‹ zerfiel auch mit der Abtrennung von Böhmen, Mähren und der Slowakei und einem Teil von Schlesien und ermöglichte politisch die Gründung der ersten »Tschechoslowakischen Republik« als eigenständigen Staat. In den mehrheitlich deutsch besiedelten Gebieten, den Randgebieten von Sudetenschlesien im Osten bis ins Egerland und in den Böhmerwald im Westen und den sogenannten Sprachinseln, wollte man eine autonome Daseinsform, etwa vergleichbar mit dem heutigen Südtirol. Am 4. März 1919 fand eine von den deutschen Sozialdemokraten einberufene Massenkundgebung für die Zugehörigkeit Deutschböhmens zu Deutschösterreich statt. Über 25 000 Personen füllten den Marktplatz von Kaaden. In vielen Städten geschah dies zeitgleich. Als die Deutschen friedlich diskutierend zusammenstanden, eröffnete Militär das Feuer und schoss in die Menge. Insgesamt waren 54 Tote zu beklagen. Die Opfer des 4. März 1919 erhielten keine Entschädigung, die Täter wurden nicht ermittelt und bestraft.«

Vorsitzender Roland Jankofsky fand mit den Worten »Man könnte Bücher darüber schreiben, aber das kann man sich nicht alles behalten und so befassen wir uns heute mit einem ganz besonderen Buch, dem Sudetendeutschen Wörterbuch«, eine ideale Überleitung zum Vortrag von Isabelle Hardt. Die Dialektologin an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) stellte die Arbeit an diesem bereits in den 80er-Jahren begonnenen Wörterbuch vor. Hardt arbeitet an der JLU gemeinsam mit Bettina Hofmann-Käs an diesem von Prof. Dr. Thomas Gloning herausgegebenen Werk, welches von der Arbeitsstelle Collegium Carolinum München finanziert wird. Bereits seit 1959 stellt die JLU diesem Projekt kostenlos ihre Räumlichkeiten zur Verfügung, während der Freistaat Bayern seit 1985 über das Collegium Carolinum, dem Forschungsinstitut für die böhmischen Länder in München, die Finanzierung gewährleistet.

1988 wurde Band »A" mit etwa 10 000 Stichwörtern veröffentlicht. Von acht geplanten Bänden sind mittlerweile fünf Bände erschienen, der letzte 2018 mit den Buchstaben H, I und J. »In Deutschland gibt es für jede Dialektregion ein Wörterbuch. Manche sind schon lange fertig, wie das schwäbische, beim badischen wird gerade der letzte Band erstellt. Die bearbeiten jedoch alle nur einen Grunddialekt. Vielen, die keinen sudetendeutschen Ursprung haben, sei gesagt, es gibt nicht den einen sudetendeutschen Dialekt. Die Herausforderung besteht bei diesem Wörterbuch darin, fünf verschiedene Grundmundarten hier unterzubringen. Bei diesen handelt es sich um Mittelbairisch, Nordbairisch, Ostfränkisch, Obersächsisch und Schlesisch«, gab Hardt einen Einblick in ihre Arbeit. Angelegt als wissenschaftliches Dialektwörterbuch, werden in diesem Berufs- und Gaunersprachen, Pflanzennamen wie auch deutsch-slawische Lehnwortaustausche und Austriazismen aufgenommen, während Flur-, Familien- und Hausnamen wie auch ausführliche Erläuterungen zu volkskundlichen Aspekten keine Aufnahme finden.

Ein großes Problem für die wissenschaftliche Dokumentation sei die Rechtschreibreform in den 90er-Jahren gewesen. Was nun aktuell mit einher gehe mit der Erstellung von Band VI, sei die Digitalisierung der bereits erschienenen Bände. In diesem Jahr soll im Netz eine PDF-Version der ersten fünf Bände eingestellt werden.

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