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Aus Hessen in die Welt

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Von: Björn Gauges

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Ein Kreuzrahmenrad der Frankfurter Firma Adler aus dem Jahr 1888. © Red

Selters, Horex und der erste Computer der Welt: Eine neue Ausstellung im Oberhessischen Museum in Gießen widmet sich bedeutenden Industriegeschichten.

Gießen. »Hessen vorn« lautete ein Wahlkampfslogan des langjährigen SPD-Ministerpräsidenten Georg August Zinn, mit dem er die Identität dieses nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen Bundeslandes und seiner Bewohner zu stärken versuchte. Dabei hätte Zinn doch nur auf die vielen erfolgreichen Industriegeschichten verweisen müssen, die seit dem 19. Jahrhundert zwischen Darmstadt, Gießen, Herborn, Hünfeld und Kassel entstanden sind. Nicht alle von ihnen haben die Zeitläufe unbeschadet überstanden, dennoch gibt es eine beeindruckende Vielzahl an Produkten, Marken und Innovationen aus Hessen, die die Welt erobert haben.

Das Oberhessische Museum hat in einer Kooperation mit Häusern in Offenbach, Rüsselsheim und Borken sowie dem Hessischen Museumsverband nun eine Ausstellung im Alten Schloss zusammengestellt, in der eine Menge Kapitel zum Thema gesammelt wurden. Von der Seltersflasche bis zum ersten Computer, vom Horex-Motorrad bis zu Liebigs Fleischextrakt, von der Frankfurter Küche bis zur Adler-Schreibmaschine reicht diese Produkt- und Objektpalette, zu der laut Museumsleiterin Katharina Weick-Joch zahlreiche Leihgaben gehören und die von den Universitäten in Gießen und Marburg wissenschaftlich unterstützt wurde. In der Ausstellung, die am Dienstag offiziell eröffnet wird und nach ihrem Ende im Oktober weiter ins Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim zieht, sind diese Geschichten in so anschaulicher wie kurzweiliger Form zusammengetragen worden.

Kurze Wege mit Frankfurter Küche

Dazu zählt etwa die Frankfurter Küche, die 1926 im Rahmen des Projekts Neues Frankfurt durch die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky ausgearbeitet wurde. Es war die Abwendung von der Wohnküche, in der sich die Architektin allein vom Prinzip der Funktionalität leiten ließ. Es galt, so wenig Schritte und Bewegungen wie möglich machen zu müssen, wenn »die moderne Hausfrau« in der Küche hantierte. Was dabei entstand, gilt als der Urtyp der modernen Einbauküche.

Zudem zeigt die Ausstellung, dass solch bedeutenden Erfindungen häufig für eine Art Dominoeffekt sorgten, die andere Entwicklungen vorantrieben oder entstehen ließen. Mit der Frankfurter Küche eng verbunden ist etwa die Aluminiumschütte der Firma Haarer aus Hanau, in der trockene Lebensmittel aufbewahrt werden konnten. Diese Schütte war funktional, langlebig und preisgünstig herzustellen, wenngleich sie sich nicht dauerhaft durchsetzen konnte. Im Gegensatz zur Flugzeugküche, die der Dillenburger Unternehmer Werner Sell entwarf. Sie folgte dem Bauhaus-Prinzip der Frankfurter Küche und hob erstmals 1955 an Bord einer Lufthansa-Maschine ab - der Beginn einer weltweiten Erfolgsgeschichte. Zu den wichtigen Neuerungen gehörte dabei der Juno-Auftauofen für tiefgefrorene Gerichte, wie man ihn noch heute in Flugzeugen und Bahnbistros kennt. Sell arbeitete für die Burger Eisenwerke, die später zu Buderus wurden - was ein weiteres Kapitel dieser Schau markiert.

Ebenfalls lohnend ist in der Ausstellung die Gegenüberstellung der konkurrierenden Unternehmen Opel und Adler, die beide mit ihren Fahrradmodellen im Jahr 1893 auf der Weltausstellung in Chicago vertreten waren. Opel war ein paar Jahre später der größte Fahrradproduzent der Welt, Adler gab dem Label »Made in Germany« mit seinem Auftritt auf der Londoner Fahrradmesse den Klang von technischer Präzision. Doch bekannt wurde Opel aus Rüsselsheim später mit seinen Autos, während Adler aus Frankfurt vor allem mit seiner Schreibmaschine »Adler 7« Industriegeschichte schrieb und die Büroarbeit »bis auf den heutigen Tag verändert hat«, wie es im Ausstellungskatalog heißt.

Auch der Industriestandort Gießen ist natürlich in der Ausstellung vertreten. Justus Liebigs Erfindungen führten zur Vervielfachung der Ernteerträge, zur Tütensuppe und zum Brühwürfel. Ebenfalls Erwähnung finden die Gail’sche Kachel, die bis heute Schwimmbäder in aller Welt auskleidet, sowie der Lahnmarmor, der das Empire State Building ebenso wie unzählige andere bedeutende Gebäude schmückt.

Erzählt wird all das nicht nur über Bilder und Texttafeln, sondern auch anhand von zahlreichen Objekten, von denen sich manche auch von den Besuchern selbst in die Hand nehmen lassen. Etwa wenn es um die Odenwälder Firma Koziol geht, die 1930 als Elfenbeinmanufaktur gegründet wurde, sich aber bald darauf auf die Herstellung von Kunststoffprodukten konzentrierte (und bis heute existiert). So lassen sich kleine Schmuckfigürchen aus beiden Werkstoffen vergleichen, die sich äußerlich kaum voneinander unterscheiden. Hinzukommen in der Ausstellung auch zahlreiche Fotos, Filmbilder, bewegliche Tafeln und eine Zukunftsstation. »An der bitten wir unsere Besucher selbst um Visionen für neue Produkte«, erklärt Museumsleiterin Katharina Weick-Joch.

Die Ausstellung »Made in Hessen - Globale Industriegeschichten« wird offiziell am Dienstag, 28. März, um 18 Uhr im Alten Schloss eröffnet, ist aber bereits an diesem Wochenende für Besucher zugänglich. Zur offiziellen Begrüßung sprechen Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und Schirmherr Volker Bouffier. Zum Programm gehört dann neben einer Einführung des Ausstellungsteams auch eine kleine Science Show, bei der die Wissenschaft unterhaltsam dargestellt wird.

Die Ausstellung (Eintritt frei), zu der auch ein Katalog erstellt wurde, ist bis zum 15. Oktober im Oberhessischen Museum zu sehen. Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr. Ab April werden die Öffnungszeiten dann von 11 bis 18 Uhr verlängert.

Zum Begleitprogramm gehört eine Vortragsreihe, die am Donnerstag, 30. März , um 18 Uhr beginnt. Dann berichtet Prof. Leo Gros von der Hochschule Fresenius in anekdotischer Form von dem Liebig-Schüler Carl Remigius Fresenius, der selbst zu einem bedeutenden Chemiker wurde. Zum Programm gehören außerdem Führungen , darunter am 20. April um 17 Uhr.

Alle Programmpunkte zur Ausstellung sind über die sozialen Kanäle und die Homepage des Oberhessischen Museums unter www.giessen.de sowie über die eigens für die Ausstellung eingerichtete und regelmäßig überarbeitete Seite www.made-in-hessen.online zu erfahren. (bj)

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Ein Modell der legendären Bad Homburger Motorradschmiede Horex. © Björn Gauges
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Hessen forscht: Hier ein Blick in die Kitterei der Firma Leitz in Wetzlar in den 1950er Jahren. Fotos: Möllenberg, Gauges, Leitz, Hessisches Wirtschaftsarchiv © Möllenberg, Gauges, Leitz, Hessisches Wirtschaftsarchiv

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