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Auswirkungen schwer einschätzbar

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Von: Petra A. Zielinski

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Sich seine Hausarbeit von einem Text-Roboter generieren zu lassen, klingt nach großer Erleichterung, birgt aber die Gefahr, dass nicht alle Fakten stimmen. Symbolfoto: Markus Hibbeler/dpa © Petra A. Zielinski

Innerhalb von nur wenigen Sekunden durchsucht das Chatbot-Modell kostenlos eine Vielzahl von Internet-Datenbanken und formuliert eine ausführliche Antwort auf nahezu alle Fragen.

Gießen . »ChatGPT ist ein konversationsbasiertes Sprachmodell, das von OpenAI entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um ein künstliches Intelligenzsystem, das auf einer großen Menge an Texten aus dem Internet trainiert wurde und dadurch in der Lage ist, Text zu generieren, der sinnvoll und ähnlich dem menschlichen Schreibstil ist.« Diese Antwort gibt Chat-GPT, wenn man die erst im November vergangenen Jahres veröffentlichte KI nach sich selbst befragt.

Innerhalb von nur wenigen Sekunden durchsucht das Chatbot-Modell kostenlos eine Vielzahl von Internet-Datenbanken und formuliert eine ausführliche Antwort auf nahezu alle Fragen. Was für die technische Entwicklung von künstlicher Intelligenz als Durchbruch gilt, stellt das selbstständige Arbeiten an Schulen und Universitäten vollkommen auf den Kopf. Die Frage, die sich Lehrende künftig stellen müssen ist, ob eine Hausarbeit, ein Aufsatz oder ein Essay tatsächlich vom Schüler selbst oder von »ChatGPT« geschrieben wurde.

»ChatGPT ist ein Thema, das aktuell alle Hochschulen umtreibt. Dieses Phänomen wird nicht mehr verschwinden und künftig große Auswirkungen auf Prüfungsformate haben«, betont Prof. Katja Specht. Die Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) erklärt, deshalb in Zukunft noch mehr auf Reflektionen über ein Thema setzen zu wollen.

Präsentation gibt Aufschluss

»Am Ende von Hausarbeiten steht oftmals eine Präsentation oder eine mündliche Prüfung.« Dabei erkenne man am besten, ob sich jemand mit dem jeweiligen Thema auch wirklich selbst auseinandergesetzt habe. »Das Thema kommt gerade erst bei uns an«, sagt sie. Plagiate hingegen habe es schon immer gegeben. »Hier verfügen wir allerdings über eine Plagiats-Software, die in der Lage ist, geklaute Textpassagen zu erkennen. Was nicht eigenes Gedankengut ist, muss als Zitat kenntlich gemacht werden.« Verbieten möchte die THM den Einsatz von ChatGPT nicht. »Wenn die KI zum reinen Lernen eingesetzt wird, ist das in Ordnung.« ChatGPT biete viel Potenzial.

»Mit jeder Frage, die gestellt wird, verbessert sich die Qualität der KI«, weiß die Expertin. Und: »Je konkreter eine Frage gestellt wird, desto besser ist die Antwort«. Kollegen hätten bereits Tests von ChatGPT schreiben lassen, die das Pro-gramm mit mittelmäßigem Ergebnis bestanden hätte. Aktuell sei die KI noch nicht in der Lage eine komplette Hausarbeit fehlerfrei zu schreiben. »Auffällig ist jedoch, dass die Güte von MINT-Arbeiten schlechter ist als die von Hausarbeiten in Buchwissenschaften wie beispielsweise BWL.« Darüber hinaus sei die KI auch in der Lage, den Schreibstil dem Alter des Schülers oder Studierenden anzupassen. Beispielsweise, wenn die Aufgabe laute: »Schreibe einen Praktikumsbericht aus der Sicht eines Schülers der neunten Klasse.«

»Ein Verbot ist sicher nicht der richtige Weg. Vielmehr sollten wir ChatGPT nutzen, um Lernprozesse zu verbessern«, fasst die Professorin zusammen. JLU-Pressesprecherin Lisa Dittrich erklärt: »ChatGPT ist eine bahnbrechende neue Entwicklung, die das enorme Potenzial der Künstlichen Intelligenz sehr eindrucksvoll belegt. Wir werden uns an der Justus-Liebig-Universität eingehend mit den damit verbundenen Chancen und Herausforderungen beschäftigten. Dazu gehört natürlich der Blick auf Prüfungsverfahren und Abschlussarbeiten, aber auch die sorgfältige Prüfung von sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten der zugrunde liegenden Technologien in Forschung und Bildung.«

Nach Auskunft des Gießener Schulamtsleiters Norbert Kissel unterstützt das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis bereits seit einigen Monaten die Schulen im Zuständigkeitsbereich bei der Auseinandersetzung mit der KI-Software ChatGPT. Dafür würden in Zusammenarbeit des Bereichs Pä-dagogische Unterstützung am Schulamt und dem M@us-Zentrum Gießen Angebote in Form von Lehrerfortbildungen ge-macht. So fand kürzlich in der Clemens-Brentano-Europaschule (CBES) Lollar ein gut besuchtes Fortbildungsseminar für Lehrer mit dem Thema »ChatGPT - Einsatzszenarien in der Schule« statt.

Prüfungskultur vor Veränderungen

»In den Seminaren geht es sowohl um die Vorteile dieser Anwendung als auch um ihre Grenzen, wobei die Nutzung durch Lehrkräfte im Fokus steht. Lehrkräfte können durch diese Software interessante und kreative Aufgaben entwickeln, deren Vorbereitung nun weniger zeitintensiv ist. Gleichzeitig ist es notwendig, die Vorschläge dieser Software zu prüfen und für die Verwendbarkeit im eigenen unterrichtlichen Zusammenhang gegebenenfalls zu verändern«, betont Kissel. Wichtig sei ebenfalls, sich mit der auf stochastischen Prinzipien beruhenden Funktionsweise der KI-Software zu beschäftigen, um die Einsatzmöglichkeiten besser einschätzen zu können. Angesichts des Betrugspotenzials dieser Software im Rahmen von schriftlichen Aufgabenstellungen blieben die Auswirkungen auf Prüfungsformate abzuwarten. Auch in diesem Bereich bietet das Land Hessen über das Schulportal Fortbildungen zu einer veränderten Prüfungskultur an.

Nicht an allen heimischen Schulen ist ChatGPT wirklich angekommen. »Das ist bei uns weniger ein Thema«, erklärt der Leiter der Gesamtschule Gießen Ost (GGO), Dr. Frank Reuber. Dennoch müsse man sich über kurz oder lang Gedanken über veränderte Aufgabenstellungen machen. »Wir brauchen andere Formate, beispielsweise mehr mündliche Prüfungen«, betont er.

»Wir haben uns im Kollegium schon intensiv darüber ausgetauscht«, berichtet Dirk Hölscher. Tipps im Umgang mit dem neuen Phänomen erhofft sich der Leiter der Liebigschule auf den Fortbildungen. »Es ist sinnvoll, wenn Schüler ChatGPT für eine Recherche nutzen, der Text darf aber keinesfalls eins zu eins übernommen werden.« Da die Schüler in der Schule kein Handy nutzen dürften, könne die KI nur bei Hausarbeiten zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus sei es nicht immer einfach, die Antwort der KI auf eine Aufgabe anzuwenden. So sei es beispielsweise fraglich, ob ChatGPT eine Metapher im Text erkennen oder einen Sachtext analysieren könne. »Wir kennen die Leistungen unserer Schüler. Wenn plötzlich jemand, von dem wir es nicht gewohnt sind, perfekte Texte schreibt, muss man genauer hinschauen.«

Schüler reagieren unterschiedlich auf die neue KI. »Seit dem ich ChatGPT nutze, bekomme ich fast nur noch zwölf Punkte und mehr«, freut sich ein Oberstufenschüler. Sowohl bei Hausaufgaben im sprachlichen als auch im naturwissenschaftlichen Bereich müsse er nicht mehr groß nachdenken, sondern lediglich sein Handy zücken und die Antwort aus dem Internet kopieren. »Ich versuche allerdings, ein paar Fehler einzubauen, damit die Lehrer glauben, dass ich das wirklich selbst geschrieben habe.«

»Monoton und wie ein Roboter«

Ein anderer Schüler steht dem skeptischer gegenüber: »Das Problem ist, dass Chat-GPT monoton und wie ein Roboter schreibt. Die Lehrer werden durchschauen können, wer den Dienst benutzt, vor allem, wenn bei Nachfragen im Unterricht oder in Arbeiten das Wissen plötzlich doch nicht vorhanden ist«.

Während die KI noch weiß, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz heißt, endet ihr Wissen aktuell Ende 2021. So antwortet ChatGPT auf die Frage, wer die Oscargewinner 2022 waren: »Ich kann Ihnen leider nicht mit Sicherheit sagen, wer die Oscars 2022 gewonnen hat, da mein Wissensstand bei 2021 endet und ich keine Informationen über die Zukunft habe.« Wenigstens das kann die KI noch nicht...

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