Bäcker in fünfter Generation

Marco Langsdorf wurde der Bäckerberuf schon in die Wiege gelegt. Der Bäcker in fünfter Generation hat nie im Familienbetrieb mitgearbeitet, sondern ist von Anfang an seinen eigenen Weg gegangen.
Gießen . Marco Langsdorf wurde der Bäckerberuf schon in die Wiege gelegt. »Bereits mein Ururgroßvater Konrad Hensel hat dieses schöne Handwerk gelernt und sich 1894 mit einer Bäckerei in Hüttenberg-Rechtenbach selbstständig gemacht«, erzählt er. Mit der Pferdekutsche habe Konrad Hensel damals das Brot nach Gießen gebracht. »Er hatte immer eine Glocke dabei, um die Kunden auf sich aufmerksam zu machen.«
Früher Schritt in die Selbstständigkeit
Der Bäcker in fünfter Generation hat nie im Familienbetrieb, der im Herbst vergangenen Jahres geschlossen wurde, mitgearbeitet, sondern ist von Anfang an seinen eigenen Weg gegangen. Nach einer Ausbildung in der Bäckerei Steindorf in Wetzlar wagte er bereits mit 22 Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit. »Zwischendurch habe ich mal einen kleinen Abstecher in den Vertrieb von Süßwaren gemacht, bin aber schnell in meinen eigentlichen Beruf zurückgekehrt«, verrät er.
1995 hat Langsdorf die Bäckerei Müller inklusive Lebensmittelmarkt übernommen, neun Jahre später die Bäckerei Zörb in Butzbach-Pohlgöns - einen Betrieb mit sechs Filialen. Dann kam der Entschluss, etwas anderes zu machen. »Ich wollte weg von Fertigteigen, hin zu eigenen Kreationen, für die in einem Großbetrieb einfach keine Zeit war«, betont er. »Qualität funktioniert einfach nicht im großen Stil.«
So ist die Idee zum »Brot-Atelier« in der Gießener Mäusburg entstanden, das am 21. Juli 2020 in den Räumlichkeiten der ehemaligen Bäckerei Horst seine Pforten öffnete. »Atelier ist das französische Wort für Werkstatt«, erklärt Langsdorf. Und wie in einer Werkstatt, so kann man auch hier den Bäckern bei der Arbeit über die Schultern schauen. »Unsere Kunden können nicht nur sehen, wie unsere Backwaren entstehen, sondern auch mit uns kommunizieren.«
Nichts aus der Tüte
Nicht selten würde er nach den Inhaltsstoffen seiner Teige gefragt. Eine Frage, die er gerne beantwortet. »Bei uns kommt nichts aus der Tüte, wir verzichten bei unseren Broten auf Backmittel und Zusatzstoffe.« Bei der Herstellung setze man auf die traditionelle Zubereitung. So werden die Sauerteigbrote mit selbstangesetztem Teig einzeln von Hand verarbeitet. »Durch die Langzeitführung der Teige und den Verzicht auf Backmittel sind unsere Brote sehr bekömmlich«, unterstreicht er. Durch die langen Ruhezeiten würde Gluten abgebaut.
Verarbeitet werden Rohstoffe aus der Region. »Das Getreide wird hier angebaut und in kleinen Mühlen im Umland gemahlen.« Lediglich das Mehl für französische Backwaren würde direkt aus Frankreich bezogen. »Alle unsere Brote werden täglich frisch gebacken«, betont Langsdorf. »80 Prozent unserer Brote sind weizenfrei«, erklärt er. Gerne verwendet er traditionelles Getreide, wie Dinkel, Emmer oder Einkorn.
Langsdorfs Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ein Grundsortiment wird, Jahreszeit-abhängig, um wechselnde Backspezialitäten ergänzt. Beispielsweise zur Winterzeit um ein Rosmarin-Walnussbrot oder im Sommer durch das »Blütenbrot« - einer Kreation aus Dinkelmehl, Quark, Apfelessig, Zuckerrübensirup, Salz, Hefe und einer Blütenmischung. Bei den Baguettes reicht das breitgefächerte Angebot vom Sepia-Cranberry- bis hin zum Haselnuss-Parmesan-Baguette. Das größte Kompliment für den Bäcker ist, wenn ein Kunde sich beim Genuss seiner Backwaren in die Kindheit zurückversetzt fühlt. So wie eine Frau aus Dresden beim Verzehr von Langsdorfs Stollen.
Weitere süße Leckereien sind Zimtknoten und Schokocroissants, von Letzteren gehen etwa 50 pro Tag über die Ladentheke. »Wir haben uns schon viele Stammkunden erbacken«, freut sich Langsdorf. 700 Kundenkarten seien aktuell im Umlauf. Und das, obwohl Marco Langsdorf sein »Brot-Atelier« während der Pandemie eröffnet hat. »Aller Befürchtungen zum Trotz lief von Anfang an alles gut. Da die Ausgehmöglichkeiten begrenzt waren, haben die Menschen eben mehr in hochwertige Lebensmittel investiert.«
Der Bäcker und sein Team beginnen versetzt mit ihrer täglichen Arbeit. »Die ersten starten um vier Uhr, die letzten um 6.30 Uhr. Wir backen bis ca. 13.30 Uhr«, erzählt er. Nachdem er 27 Jahre bei Karstadt arbeitete, hat Ralf Keil das Konzept des »Brot-Ateliers« so überzeugt, dass er seinen Job bei »LeBuffet« kündigte und nun seit einem Jahr hier tätig ist. Ein Entschluss, den der 56-jährige Bäcker nicht bereut hat. »Wir sind wie eine Familie.« Auch die ehemalige Radioredakteurin Piera Reich, die im Verkauf arbeitet, ist begeistert: »Ich habe tolle Kollegen und tolle Kunden.« Das Team wird ergänzt durch den gelernten Bäcker, Konditor und Koch, René Geisler, der von Beginn an dabei war und Artur Koleber, der von einer ehemaligen Kollegin auf die Bäckerei aufmerksam gemacht wurde.
Bewerber fehlen
Schwieriger ist es für Marco Langsdorf, Auszubildende zu finden. »Ich würde auf der Stelle ausbilden, wenn ich Bewerber hätte«, betont er. Noten seien für ihn dabei nicht entscheidend, auch Sprachbarrieren könnten überwunden werden. Was zähle, sei Spaß an der Arbeit und die Wertschätzung von Lebensmitteln. »Und keine Probleme, körperlich zu arbeiten«, fügt René Geisler hinzu. »Durch das Schaubacken möchten wir gerade jungen Menschen zeigen, wie viel Spaß unser Beruf macht«, unterstreicht Marco Langsdorf.
Die Ausbildung zum Bäcker ist eine duale Ausbildung, der Besuch einer Berufsschule, in Gießen die Max-Weber-Schule, und das Lernen im Betrieb wechseln sich dabei ab. Während der Ausbildung wird nicht nur vermittelt, wie Backwaren hergestellt werden, sondern auch die Themen Hygiene und Arbeitsschutz gehören dazu. Mindestvoraussetzung die dreijährige Ausbildung zu beginnen, ist ein Hauptschulabschluss.
Wer morgens also gerne lange schläft ist hier fehl am Platz, denn der Arbeitstag beginnt zumeist dann, wenn andere noch schlafen. Aufstehen im Dunkeln sollte also für angehende Bäcker kein Problem sein. Der Beruf ist ideal für alle, die gerne etwas mit ihren Händen machen und nicht gerne ihren Tag am Schreibtisch verbringen wollen. Zwar erleichtern mittlerweile Maschinen die Arbeit, dennoch sollten Interessenten körperliche Arbeit nicht scheuen. Wichtigstes Kriterium ist jedoch Leidenschaft für und Wertschätzung von Lebensmitteln.
Nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung stehen den frischgebackenen Gesellen viele Möglichkeiten offen, beispielsweise die Arbeit in einem Hotel oder in der Industrie. Der Ausbildung kann auch eine Weiterbildung zum technischen Fachwirt oder ein Hochschulstudium als Ernährungswissenschaftler oder Lebensmitteltechnologe folgen. Voraussetzung für eine spätere Selbstständigkeit ist der Erwerb des Meistertitels. Die Verdienstmöglichkeiten in Bäckereien liegen im ersten Ausbildungsjahr bei 680 Euro pro Monat, im zweiten bei 755 Euro und im dritten bei 885 Euro brutto. (paz)
