Bedeutsame Worte als musikalische Idee

Gießen. Die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört zu den ehrwürdigen Traditionen der Kirchenmusik zu Ostern und wird auch dieses Jahr wieder in der Johanneskirche aufgeführt. Zur inhaltlichen Vorbereitung sollte eine Einführung dienen, die Johannes-Kantor Christoph Koerber und Pfarrer Gabriel Brand konzipiert hatten. Das Pankratius-Gemeindehaus war am Mittwochabend fast voll besetzt, die Besucher lauschten mit großer Konzentration.
Für den erkrankten Kantor war Beate Koerber eingesprungen, die gemeinsam mit Pfarrer Gabriel Brand den Vortrag hielt. Das Duo hatte eine Synthese aus detaillierter musikalischer Information, historischen Fakten und erhellenden Musikbeispielen zu einem stimmigen Zeitbild zusammengestellt, Noten inklusive. Ziel war, den Besuchern einen besseren Zugang zum Werk zu vermitteln.
Komponist Bach, Kantor in Leipzig, hatte nicht wenig zu tun, jeden Sonntag wurde ein neue Kantate von ihm erwartet, neben Chorarbeit und weiterem eine kreative Herausforderung. Bachs erste große Passionsvertonung, in seinem ersten Leipziger Amtsjahr 1724 entstanden, begeistert durch ihre dramatische Umsetzung der Passionsgeschichte und die theologisch tiefgründigen und musikalisch vielfältigen Arien und Choräle. Bach schuf anders als sein konservativer Vorgänger gleich ein zweistimmiges Werk mit großem Orchester.
Den Anfang machte der Chor, der für das Volk steht, erläuterte Beate Koerber. Die Musik steigert sich langsam zu einem großen Klang. In dieser Eröffnung sind schon drei Anrufungen enthalten. Die Passion war kein Werk für Unbedarfte. Bach verarbeitete mannigfaltige historische Fakten und religiöse traditionelle Elemente zu einem Großwerk von etwa zwei Stunden Aufführungsdauer, die ursprünglich durch eine Predigt noch verlängert wurde. Im Vortrag kamen zahlreiche hochwertige Musikbeispiele zum Einsatz, verbunden mit ihren projizierten Noten, was bisweilen den Eindruck eines Fachseminars vermittelte. Das Publikum hörte auch diesen Passagen aufmerksam zu, augenscheinlich waren zahlreiche Musikkenner anwesend.
Interessant war die Widerspiegelung verschiedener theologischer Auffassungen der Passionsgeschichte in der Musik, darunter die Umsetzung etwa der Kreuzigung mit gekreuzten Musiklinien. Auch der Zwiespalt der Kreuzigung - hatte Jesus nun gesiegt oder verloren? - fand im Klang eine Entsprechung. Die Rollen der Solisten sind inhaltlich ebenfalls tiefgründig angelegt und weisen bei aller Dramatik auch innige Momente der Besonnenheit auf.
»Der Zweck des Werks war nicht der reine Schönklang«, sagte Brand. »Es ging auch darum, ob bedeutsame Worte in musikalische Ideen umsetzbar waren.« Erläutert wurden zahlreiche Aspekte, die Bach bewegten und im Werk Aufnahme finden sollten. Bach war ja nicht nur ein genialer Musiker, sondern auch ein religiöser Mensch. Die Ideenvielfalt, gemeinsam mit historischen Fakten oder auch tumultuarischen Szenen, fand ihre Umsetzung in einem lebhaften, operngleichen Werk, das bei aller Intensität und Attraktivität der Mittel stets zielgerichtet zu erzählen versucht.
Nicht alles erschließt sich heute ohne Unterweisung, aber durch den Vortrag erhielt man eine andere, vielleicht offenere Einstellung zur Zeitbezogenheit der darstellerischen Mittel. Das könnte durchaus zu einem anderen Hörerlebnis führen, wenn das Werk nun wieder in der Johanneskirche zu hören sein wird.
Die Johannespassion von Johann Sebastian Bach wird an Karfreitag, 7. April, zur Todesstunde Jesu um 15 Uhr in der Johanneskirche aufgeführt.