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Bei »Eintracht« Heimat gefunden

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Hauptdarsteller und Filmemacher freuen sich bei der Premiere im Kinocenter über das gelungene Werk. © Natalija Köppl

Eine Filmdokumentation Gießener Studierender erzählt die Geschichte des jüdischen Fußballfans Helmut Sonneberg, der Eintracht Frankfurt trotz wechselvoller Vereinsgeschichte die Treue hält.

Gießen . Helmut »Sonny« Sonneberg ist ein waschechtes Frankfurter Original. Der heute 90-Jährige fand nach einer verlorenen Kindheit im Nationalsozialismus seinen Weg zum Fußballverein Eintracht Frankfurt und dort auch seine Heimat. Jahre nach den NS-Gräueln sprach er erstmals über die damalige Zeit. Vier Masterstudierende des Studiengangs Fachjournalistik Geschichte der Justus-Liebig-Universität (JLU) haben Sonneberg in ihrem Dokumentarfilm »Dem Verein verzeiht man, dem Land nicht. Jüdische Fußballfans in Frankfurt« verewigt. Dieser feierte am Dienstagabend im Kinocenter Premiere.

Der 90-Jährige ist Eintracht-Fan durch und durch. Schon in seiner Kindheit drehte sich viel um Fußball, doch 1938, als er sieben Jahre alt war, erfuhr Sonneberg, dass er Jude sei. 1943 kam er in ein jüdisches Waisenhaus, 1945 sogar nach Theresienstadt. Als er als 16-Jähriger wieder nach Frankfurt zurückkehrte, suchte er nach Geborgenheit - und fand sie bei Eintracht Frankfurt. Dort gehörte er endlich dazu, niemand fragte nach seinen Erfahrungen als Jugendlicher. Bis er vor gar nicht so langer Zeit beschloss, doch einmal davon zu erzählen.

Ex-SS-Mann als Vereinspräsident

Das Zugehörigkeitsgefühl zum lokalen Fußballverein ist weit verbreitet. So natürlich auch bei der Eintracht. Der Verein füllt, abseits der Pandemie-Auflagen, regelmäßig das frühere »Waldstadion« mit mehr als 50 000 Plätzen. Woraus entsteht so ein Gefühl der Zugehörigkeit? Was gibt es dem Einzelnen? Und auf welche Probe stellt es die Fußballleidenschaft deutsch-jüdischer Fans, dass Eintracht Frankfurt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jüdische Sportler sowie Sportfunktionäre ausschloss und von 1955 bis 1970 den ehemaligen Eintracht-Nationalspieler und SS-Mann Rudolf Gramlich zu ihrem Vereinspräsidenten machte? Diesen Fragen gehen die Studierenden in ihrem Film nach.

Ein weiterer Protagonist darin ist Fiszel Ajnwojner, heute Vorsteher der Frankfurter Westend-Synagoge. Als Kind polnischer Holocaust-Überlebender in einem Lager für Displaced Persons geboren, bestand seine Kindheit im Nachkriegsdeutschland vor allem daraus, vorsichtig zu sein und nicht aufzufallen - die Angst der Eltern vor erneuten Pogromen war groß. Nach der Wiedergründung von Makkabi Frankfurt begann Ajnwojner, dort als junger Mann Fußball zu spielen - in einem damals dezidiert jüdischen Verein, dessen Geschichte der Film ebenfalls beleuchtet.

Die jungen Filmemacher Jonas Kreutzer, Natalija Köppl, Julian Feider und Simon Bloemers schaffen es, in ihrer 45-minütigen Dokumentation ein eindrucksvolles Werk abzuliefern, das durch Tiefgang beeindruckt. Sonneberg und Ajnwojners Geschichte, untermalt mit historischen Aufnahmen von Eintracht Frankfurt zur Zeit des Nationalsozialismus, wirken wie ein mahnender Finger, dass sich Antisemitismus in deutschen Stadien und Mannschaften jederzeit wiederholen könne, wenn die Vereine diesen Tendenzen nicht Einhalt geböten. Der Kontakt zu Sonneberg kam durch Julian Feider zustande, der im Museum von Eintracht Frankfurt gearbeitet hatte.

»Ich habe die jungen Leute im Eintracht-Museum kennengelernt. Sie und das Museum haben mich dazu gebracht, darüber (die NS-Zeit, Anm. d. Red.) zu reden, obwohl ich nie darüber reden wollte«, sagte Sonneberg im Anschluss an den Film. Welcher Mensch auf der Erde könne etwas dafür, wie er geboren werde? »Jetzt stehe ich vor Euch und weiß nicht, was ich sagen soll. Demokratie ist die schönste Regierungsform, die es gibt. Aber auch die schwierigste.«

Antisemitismus bleibt im Fußball ein Problem

Dem Verein habe Sonneberg nach langer Zeit verziehen, dass dieser einen ehemaligen SS-Mann als Präsidenten hatte. Die Nationalhymne singe er allerdings bei Länderspielen bis heute nicht mit. »Ich kann mich damit nicht identifizieren«, erklärte der 90-Jährige.

Ajnwojner führte danach aus, dass die Geschichte Sonnebergs wichtig sei. »Als Kickers Offenbach-Fan, noch dazu aus Frankfurt, noch dazu als Jude, da musst du widerstandsfähig sein. Aber Sonny, es ist wichtig, dass Du Deine Geschichte erzählst und das noch viele Jahre lang tust. Was bei den niederen Ligen los ist, da ist Antisemitismus das täglich Brot«, sagte Ajnwojner.

Sonneberg ist in den vergangenen Jahren immer stärker in die mediale Berichterstattung gerückt. Der Hessische Rundfunk hat einen Film über ihn gemacht und am 4. Mai ist er in der ZDF-Talkshow »Markus Lanz« eingeladen. Das müsse er aber vermutlich absagen - vorausgesetzt, die Eintracht gewinnt das heutige Viertelfinalrückspiel gegen Barcelona und zieht ins Halbfinale der Europa League ein, denn am 5. Mai wäre das Halbfinalrückspiel. Da hätte die Eintracht für »Sonny« natürlich Vorrang.

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