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Bewegte Bilder einer Deutschlandreise

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Dominik Hallerbach und Johannes Karl erläuterten den Zuschauern im »Freilichtspielhaus« ihr Kunstprojekt, bevor es zu vorgerückter Stunde mit Einbruch der Dunkelheit »Film ab« hieß. Foto: Schultz © Schultz

Das Ensemble »Buehnendautenheims« war mit dem Film »Der Wagen« zu Gast in Gießen bei den Theaterwissenschaftlern. Besucher erlebten einen etwas anderen Open-Air-Kinoabend.

Gießen. Das Kino war und ist mal wieder zu Besuch in der Stadt: zum einen kommt bald das »Hungry-Eyes-Festival«, zum anderen war jetzt das »Freilichtspielhaus« mit dem Film »Der Wagen« zu Gast bei den Theaterwissenschaftlern. Die Compagnie war mit einem alten Feuerwehrauto und einem modernen Digitalprojektor zum Theaterlabor hinter der Uni-Hauptgebäude angereist. Wer kam, erlebte einen wunderschönen Sommerabend mit sehr interessantem Film und ebensolchen Leuten.

Um acht war vom Film noch nix zu sehen. Vor dem massiven Bau des »Theaterlabors« wirkte der rote Mercedes-Transporter selbst mit der Leinwand auf dem Dach fast verloren. Außerdem schien die Sonne noch kraftvoll auf den gelben Rasen und die Zuschauer, die sich zum Kinoerlebnis eingefunden hatten.

Man war gut vorbereitet: Einige hatten sich Tapas mitgebracht und stärkten sich zunächst, andere hatten ein paar Kinder dabei, und vor allem spürte man eine tiefe Entspanntheit unter den Menschen - es war eine perfekte Open-Air-Atmosphäre.

Zu Beginn begrüßten die beiden Hauptakteure, Dominik Hallerbach und Johannes Karl, ihre Gäste, zünftig mit großer Handglocke und einem authentischen Theaterbühnenduktus, fast als wären sie im Hauptberuf Clowns. Kein Wunder, haben die beiden doch in Gießen Angewandte Theaterwissenschaften studiert. Dann erklärten sie den Zuschauern das ganze Projekt und den resultierenden Film.

Im Sommer 2019 unternahm das Theaterensemble der »Buehnendautenheims« eine ungewöhnliche Deutschlandtournee: Es reiste mit einer Bühne auf einem 100-jährigen Heuwagen mit dem Fronleichnamsspiel »Das große Welttheater« von Pedro Calderón de la Barca einmal quer durchs Land - aus der rheinhessischen Provinz bis nach Berlin. Jeden Abend spielte die Truppe in einer anderen Ortschaft, jeden Tag zog sie 40 Kilometer weiter, unbeirrt und beharrlich.

Der Film »Der Wagen« ist nun das Dokument dieses Kunstprojekts, das das tradierte Stadt-Land-Gefälle in Deutschland umdreht und kurzerhand das Welttheater von der Provinz in die Hauptstadt schleppte: eine Reise zu den Wurzeln des Prozessionstheaters und ein Versuch, zu erkunden, wo sich die allegorischen Figuren aus Calderóns Stück - der Reiche, das Elend, der Landmann, die Schönheit - heute in Deutschland finden.

Bevor es losging, die Sonne hat es an diesem Tag nicht eilig, ins Bett zu kommen, unterhielt das Duo »Mehr Impulse« mit »planetenfreundlicher Musike« (Anne-Marie Möhring, Gitarre, Jonas Demuth, Geige) die Gäste mit sanfter, entspannender Musik, genau passend zu diesem Abend.

»Wir wollten eben mit unserem Theater direkt zu den Leuten hinkommen,« erklärte Dominik Hallerbach, »deshalb sind wir auch jetzt nicht Autobahn gefahren, sondern haben immer Nebenstraßen genommen.« Eine Annäherung an das ursprüngliche Projekt.

Allmählich wurde es dunkel, dunkel genug, um einen Film auf Leinwand sehen zu können, und es entfaltete sich das Projekt Wandertheater. Im Film sieht man zunächst einige Szenen vom Aufbau der Bühne für eine Vorstellung: auf einem Heuwagen, der früher von Pferden oder vielleicht Ochsen gezogen wurde.

Die Reise in diesem rappeligen Karren darf man sich nicht sehr angenehm vorstellen. Das Bild wackelt zwar nur wenig, aber die Passagiere wurden von kurzen, harten Stößen durchgerüttelt.

Es ging hinter einem alten Trecker über Feldwege, auch durch malerische Landschaften, aber immer nur 40 Kilometer.

Danach war die Besatzung dann reif für eine Pause. Man erlebte zahlreiche Begegnungen mit Einheimischen, die allesamt positiv verlaufen. Einmal fasst sogar ein Pensionär mit an, als ein Rad geschmiert werden muss. Er spendet von seinem Vorrat an echter Wagenschmiere (»Des is des Beste«), und ein Crewmitglied schmiert tatsächlich eine trocken gelaufene Radnabe, ganz wie früher.

Die sehr gut inszenierte Dokumentation zeigt auch, dass manchmal was schief ging. Einmal hielt eine Polizeistreife die Karawane aus Trecker und zwei Wagen an: Auf den Feldwegen dürfe man nicht mit Personen auf dem Wagen fahren, lautete der strenge Bescheid. Und einmal schien alles zu spät zu sein, man hatte sich mitten im Wald richtig verfahren - und musste wenden. Spannung kam auf: Wie würden sie das nun fertigbringen? Aber sie brachten. Ein Wunder, dass die Mannschaft bei solchen Strapazen bei der Stange blieb. Ein Darsteller klagte, dass er schon fertig war, als er abends auf die Bühne kam, was man nach den Rüttelbildern vom Wagen wirklich gut nachvollziehen konnte.

Ansonsten grüßten die Dörfler den gemächlich vorbeirollenden Zug sehr freundlich und konnten die historische Theatervorstellung am Abend richtig gut leiden. »Wir wollten dann jetzt diesen Film wieder in diese Dörfer und Städte bringen, weil wir wieder zu den Menschen hingehen wollten, und ihnen damit etwas zurückgeben,« sagte Hallerbach.

Man konnte sehen, dass die Truppe auf ihrer fünf Stationen umfassenden Tour zahlreiche Besucher verzeichnen konnte. Der witzige und gut gemachte Film machte auch den Gießener Zuschauern viel Spaß: ein originelles Projekt, sehr versiert realisiert.

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