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Bis zu 200 Schläge pro Minute

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Von: Frank-Oliver Docter

Bei Warnzeichen für eine Herzrhythmusstörung sollte rasch ein Arzt verständigt werden. (Symbolfoto)
Bei Warnzeichen für eine Herzrhythmusstörung sollte rasch ein Arzt verständigt werden. (Symbolfoto) © Christin Klose/dpa-tmn

Zu Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern beantworten am Mittwoch, 22. März, Ärzte des Evangelischen Krankenhauses (EV) und des Internistischen Praxiszentrums (IPZ) Anrufer-Fragen.

Gießen . Das Herz ist auf den ersten Blick ein ziemlich simples Organ. Es hat zwei Kammern und zwei Vorhöfe sowie vier Klappen, durch die der rote Lebenssaft strömt. Bei den abwechselnd aufeinanderfolgenden Phasen der Systole und Diastole wird Blut in den Körperkreislauf gepumpt und zwischenzeitlich zur Anreicherung mit Sauerstoff in die Lunge geleitet. Doch hinter all dem steckt ein komplexes Erregungsleitungssystem.

Kommt es hier zu Aussetzern oder ist die Durchblutung der Herzkranzgefäße vermindert, gerät das Herz aus dem Takt und Herzrhythmusstörungen sind die Folge. Die häufigste davon ist das Vorhofflimmern. Beidem widmet sich am Mittwoch, 22. März, von 17 bis 18 Uhr eine für alle offene Telefonsprechstunde. Veranstalter sind die Deutsche Herzstiftung sowie das Agaplesion Evangelische Krankenhaus Mittelhessen (EV) und das dort ansässige Internistische Praxiszentrum (IPZ). Zu den zwei am Telefon auf Anrufer wartenden Ärzten gehört Prof. Mariana Parahuleva. Im Gespräch mit dem Anzeiger gibt die am IPZ und teils am Uniklinikum Gießen-Marburg (UKGM) tätige Internistin und Kardiologin einen Einblick in das Thema.

Prof. Parahuleva, das Herz schlägt unaufhörlich das ganze Leben lang bis zum Tod: Wann tut es das eigentlich das erste Mal?

Schon im Mutterleib. Bereits ab dem 22. Tag, also in der fünften Schwangerschaftswoche, beginnt das Herz zu schlagen. Ab der sechsten Woche ist der Herzschlag auch auf dem Ultraschall nachweisbar.

Was sind die allgemeinen Ursachen für Herzrhythmusstörungen?

Hauptsächlich sehen wir bei Patienten ein zu hohes Körpergewicht und einen schlechten Lebensstil. Fette können im Herzbeutel für Entzündungen sorgen. Oft liegt bereits eine Verengung eines oder mehrere Herzkranzgefäße vor. Auch Schlafapnoe (nächtliche Atemaussetzer, Anm. d. Red.) mit Schnarchen kann ursächlich sein. Genauso wie ein über längere Zeit erhöhter Blutdruck oder die Verdickung der Herzwände.

In welchen Formen können Rhythmusstörungen auftreten?

Das ist sehr unterschiedlich, es gibt regelmäßige und unregelmäßige Rhythmusstörungen. Meist treten sie auf als Extrasystolen sowie Ventrikuläre und Supraventrikuläre Tachykardien (krankheitsbedingt erhöhte Herzfrequenz). Zu letzteren gehört auch das Vorhofflimmern.

Beantwortet am 22. März Fragen am Telefon: Prof. Mariana Parahuleva.
Beantwortet am 22. März Fragen am Telefon: Prof. Mariana Parahuleva. © privat

Bitte lassen Sie uns diese im Einzelnen besprechen, zunächst Extrasystolen.

Extrasystolen sind Herzschläge, die zusätzlich zum normalen Herzrhythmus auftreten. Oft spüren Betroffene sie in Form von Herzstolpern oder Herzaussetzern und sie können selbst bei Gesunden vorkommen. Die einen bemerken sie, andere gar nicht. Vereinzelte Extrasystolen sind meistens ungefährlich und brauchen keine Therapie. Treten die Extrasystolen jedoch neu oder häufiger am Tag auf, sollte eine ärztliche Vorstellung erfolgen, um zu klären, ob diesen eine Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems oder des Stoffwechsels zugrunde liegt und ob eine Behandlung erforderlich ist.

Wie sieht es mit der Ventrikulären Tachykardie (VT) aus?

Bei der Ventrikulären Tachykardie handelt es sich um einen Herzrhythmus durch die Herzkammern. Hier liegt eine Herzfrequenz von mindestens 120 Schlägen pro Minute vor. Dauert sie länger als 30 Sekunden, wird sie Anhaltende Ventrikuläre Tachykardie genannt. Diese tritt gewöhnlich bei Menschen mit einer strukturellen Herzkrankheit auf, wie Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Kardiomyopathie (Erkrankung des Herzmuskels). Sie kommt bei älteren Menschen häufiger vor. Patienten mit Ventrikulärer Tachykardie haben fast immer Palpitationen (das subjektive Gefühl, dass das Herz unregelmäßig schlägt). Eine Ventrikuläre Tachykardie ist zudem bedrohlich, weil sie sich bis zum Kammerflimmern, einer Form von Herzstillstand, verschlimmern kann.

Und bei der Supraventrikulären Tachykardie (SVT), zu der auch das Vorhofflimmern zählt?

Supraventrikuläre Tachykardien sind Herzrhythmusstörungen mit Ursprung im oder oberhalb vom His-Bündel (Teil des Erregungsleitungssystems des Herzens) und einer atrialen Frequenz (im Vorhof) von über 100 Schlägen pro Minute. Hier kann der Puls bis zu 200 Schläge pro Minute schnell sein. Die Sinustachykardie ist die häufigste nicht-pathologische, das Vorhofflimmern die häufigste pathologische SVT. Je nach Tachykardie-Mechanismus sind in der Akuttherapie vagale Manöver (äußerliche Stimulation des Vagusnervs, der einen bremsenden Einfluss auf das Erregungsleitungssystem hat, Medikamente oder selten eine elektrische Kardioversion (Maßnahme zur Wiederherstellung normalen Herzrhythmus’) notwendig.

Welche Herzrhythmusstörungen gibt es sonst noch?

Frauen haben im Vergleich zu Männern ein doppeltes Risiko, eine Paroxysmale SVT (anfallsartig auftretende Tachykardie) zu entwickeln. Bei Frauen mittleren Alters ist die AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT) (der AV-Knoten ist Teil des Erregungsleitungssystems) die häufigste Form, bei Kindern und Jugendlichen liegt in der Mehrheit der Fälle eine AV-Reentry-Tachykardie (AVRT) aufgrund einer akzessorischen, atrioventrikulären Leitungsbahn vor (die Herzerregung kreist hier zwischen Vorhof und Kammer. Das Leitsymptom sind Palpitationen. Andere häufige Symptome sind Schmerzen im Brustkorb, Benommenheit oder Atemnot.

Kommen wir zum Vorhofflimmern: Gibt es hier Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Männer haben ein höheres Risiko als Frauen. Das Herz schlägt dann meist schneller und unregelmäßiger als normal - 120 bis 160 Mal pro Minute, bei manchen sogar bis 200 Mal. Das Ganze entsteht im linken Herzvorhof, wo die Lungenvenen münden. Vorhofflimmern ist nicht unmittelbar lebensbedrohlich. Auf Dauer erhöht es aber das Risiko für Schlaganfälle. Die möglichen Symptome bei Vorhofflimmern sind Schwächegefühl, schnelle Erschöpfung, Benommenheit oder Schwindel. Mehr als die Hälfte der Betroffenen bemerkt gar nicht, dass sie Vorhofflimmern hat.

Man hört auch immer wieder vom Vorhofflattern.

Das Vorhofflattern ist nach dem Vorhofflimmern die zweithäufigste SVT. Es kann beim Vorliegen einer Dilatation (Aufweitung) oder Fibrose (vermehrtes und verhärtetes Bindegewebe) des rechten Vorhofs auftreten. Das Vorhofflattern führt häufig zu anfallsartigem Herzrasen und der Puls kann dabei sowohl regelmäßig als auch unregelmäßig sein. In seltenen Einzelfällen kann das Herz sogar lebensbedrohlich schnell schlagen. Die häufigsten Symptome sind Schwindel, Brustenge oder Luftnot. Zum Glück kann mit der modernen Elektrophysiologie die Mehrheit der Supraventrikulären Tachykardien langfristig erfolgreich behandelt werden.

Was sollte man tun, wenn man solche Symptome bei sich feststellt?

Bei derartigen Warnzeichen rate ich dazu, schnellstens einen Arzt aufzusuchen. Über ein Ruhe-EKG und ein 24-Stunden-Langzeit-EKG, das man mit sich am Körper trägt, lassen sich genaue Erkenntnisse gewinnen.

Welche therapeutischen Möglichkeiten bieten sich, Herzrhythmusstörungen zu behandeln?

Therapie und Medikamente sind abhängig von der Art der Rhythmusstörung. Eine sehr erfolgreiche Behandlungsmethode ist die Katheterablation beziehungsweise Verödung. Hierbei wird mit einem eingeführten Katheter die Stelle im Herzmuskelgewebe verödet, an der die Erregungsleitung gestört ist - meist per Strom oder Kälte. An der verödeten Stelle bildet sich eine kleine Narbe. Die Katheterablation zählt zu den minimalinvasiven Eingriffen, da nur ein kleiner Schnitt in der Leiste nötig ist.

Inwieweit spielt das Alter des Patienten eine Rolle?

Vorhofflimmern ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, in seltenen Fällen kommt es allerdings auch bei jungen Patienten vor - zum Beispiel nach Alkoholmissbrauch, was man oft nach Fasching sieht. Bei den restlichen Fälle sind Ursachen sowie Verlauf weniger klar, insbesondere für Patienten ohne kardiale Erkrankungen.

Kann ein Herzschrittmacher helfen?

Nein, ein Herzschrittmacher ist keine Therapie gegen Vorhofflimmern.

Und wie sieht es mit dem Einsetzen von Bypässen oder Stents aus?

Beides kommt infrage, wenn eines oder mehrere Herzkranzgefäße verengt ist. Die Durchblutung des Herzens lässt sich hierdurch deutlich verbessern. Was dann auch zu weniger Rhythmusstörungen führt.

Bei der Telefonsprechstunde erreichbar sind: Prof. Michael Schoppet (Evangelisches Krankenhaus) unter 0641/9606-6595 und Prof. Mariana Parahuleva (Internistisches Praxiszentrum) unter 0641/9606-6596 .

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