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Blicke von heute und damals

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Von: Ursula Hahn-Grimm

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Die an der Schau beteiligten Studentinnen (von links) Chantal Rosenthal, Alexandra Volk, Helma Semmer und Delia Stockmann mit einem künstlerischen Objekt aus den 1970er Jahren zum Paragraphen 218. Foto: Hahn-Grimm © Hahn-Grimm

Gießen . Kaum noch im öffentlichen Bewusstsein: 1975 wurde von der UNO das Internationale Jahr der Frau ausgerufen. Zu diesem Anlass fanden im Herbst 1975 in Gießen parallel zwei Kunstausstellungen statt. Eine Gemäldeausstellung im Stadttheater-Foyer wurde von der Arbeitsgemeinschaft Gießener Frauenverbände organisiert, eine weitere Schau von Studierenden und Lehrenden der Liebig-Universität in der Kongresshalle.

Thematisiert wurde dabei die gesellschaftliche, politische und kulturelle Situation von Frauen.

Nun also »Revisited« (deutsch: erneut besucht): Studentinnen des Instituts für Kunstpädagogik erarbeiteten knapp 50 Jahre später im Rahmen eines Projektseminars eine Ausstellung, die sich kritisch mit den damaligen Arbeiten auseinandersetzt. »Entstanden ist eine Ausstellung, von der beide Seiten, Museum und Seminar, intensiv lernen konnten«, betonte Dr. Julia Schopferer vom Oberhessischen Museum bei der Eröffnung am Mittwochabend. Die Studentinnen hätten hier die Möglichkeit, jenseits eines universitären Rahmens ein breiteres Publikum zu erreichen.

»Die Kunstausstellung zum Internationalen Jahr der Frau ist beispielhaft für das gesellschaftspolitische Engagement von Studierenden und Lehrenden der Justus-Liebig-Universität«, stellte Lehrbeauftragte Sarah Happersberger fest. Die Wissenschaftlerin forscht zu Kunstprojekten aus der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre. Die beteiligten Studentinnen haben ein Semester lang alle Facetten der damaligen Ausstellung untersucht. So werden Frauendarstellungen aus der Sammlung des Oberhessischen Museums gezeigt sowie Objekte, Dokumente und Installationen zur Rolle der Frau in der Werbung, ihrer Präsenz in der Kommunalpolitik und dem umstrittenen Abtreibungsparagraphen 218.

Die Kabinettausstellung setzt sich kritisch mit der historischen Vorgängerin auseinander. Welche Frauenbilder wurden 1975 vermittelt - und aus wessen Perspektive? Inwiefern hängt die Ausstellung mit den Frauenbewegungen der 1970er und 80er Jahre, aber auch mit neuen Lehrkonzepten zusammen?

Für den historischen Teil »Maler sehen Frauen« stellte das Oberhessische Museum Gemälde aus seinen Beständen zur Verfügung. Die Darstellung ist deutlich durch den männlichen Blickwinkel dominiert. So thematisieren die Ausstellerinnen nicht nur die damalige Dominanz männlicher Künstler, sondern bieten in einer Broschüre zur Ausstellung auch geschlechtersensible Analysen der Kunstwerke aus der historischen Schau. Im Zentrum ihrer Texte stehen die Frauen, die auf den 1975 präsentierten Gemälden und Grafiken abgebildet sind, vom damaligen Ausstellungsteam jedoch nicht oder nur in ihrer Beziehung zu Männern beschrieben wurden. Charlotte Berend-Corinth aus dem gleichnamigen Bildnis von Lovis Corinth wird heute beispielsweise als Malerin vorgestellt und nicht - wie 1975 - auf ihre Rolle als Corinths Ehefrau reduziert.

Emanzipatorische Ansätze sind in der Ausstellung in der Kongresshalle zu finden. Ein wichtiges Thema damals: Die Geschlechterstereotype in der Werbung sowie im Spielzeug. Eine eigene Abteilung befasste sich mit der Unterscheidung von »künstlerischen Aktbildern« und »pornographischen Aktbildern«. Laut der Gruppe gerät die Frau in beiden Fällen in die Rolle des Lustobjekts für Betrachtende. Ebenfalls Ziel der kritischen Darstellung: Die Frau im Männerwitz und Illustrierten-Cover aus den frühen 70er Jahren.

Die Studentinnen nahmen auch die beiden Gießener Lokalzeitungen unter die Lupe. Deutlich wurde, dass 1975 Frauen als Autorinnen nur wenig vorkamen und zudem in den Berichten weniger vertreten sind als Männer. Die Studentinnen wiesen dabei zugleich auf die Ergebnisse der weltweiten Medienbeobachtungen Global Media Monitoring Projekt hin.

Die Ausstellung ist bis zum 27. August im Alten Schloss zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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