Boombranche braucht Verstärkung

Die Energiewende sorgt auch bei Heizungstechnikern in Gießen für goldene Zeiten - eigentlich. Denn es fehlt an Nachwuchs. Unterwegs mit den Installateuren von »Heinrich Wagner + Sohn«.
Gießen . Eine gute Heizung mag es mollig. Darum packt Heizungsinstallateur Fardin Machmout die Rohre der neuen Gastherme, die er gerade in einem Wiesecker Haus eingebaut hat, in dicke Isolierungen aus Schaumstoff und Alufolie. Schließlich soll es ja oben in der Wohnung gemütlich warm sein und nicht hier im Keller.
Altbauten liebt und hasst der 34-jährige Handwerksgeselle. Zum einen stellt ihn jeder Keller vor neue Herausforderungen, was seiner Kreativität entgegenkommt. Zum anderen kann man aber auch Überraschungen erleben, welche die Montage verzögern. Im Wiesecker Haus musste Fardin zum Beispiel erst einen Metallrahmen konstruieren, um die Therme lotrecht anbringen zu können, denn die Wände hier waren »schepp«. Jedes Gebäude stelle einen vor andere Herausforderungen. »Man muss mitdenken, seine Ideen einbringen und selbstständig entscheiden.«
Für den Hauseigentümer ist die Zeit ohne Heizung nicht sonderlich angenehm, wenn draußen die Temperaturen immer noch unter den Gefrierpunkt fallen können, dennoch ist er ein Glückspilz. Weil ein anderer Kunde ausgefallen ist, kann bei ihm die Ende Dezember bestellte Heizung schon im April eingebaut werden, da nimmt man die kalte Jahreszeit gerne in Kauf.
»Der Mann hat Glück gehabt«, meint auch Thomas Wagner, Inhaber von »Heinrich Wagner + Sohn«. Bei einem anderen Kunden, der im Sommer zwei neue Heizkörper geordert hatte, werden die erst jetzt im April eingebaut. Solange ist die Warteliste.
Der 63-Jährige leitet das Familienunternehmen in der dritten Generation, obwohl es zwei Jahre vor dem hundertjährigen Bestehen des Betriebs eigentlich besser »Wagner + Tochter« heißen müsste, denn den Betrieb wird in einigen Jahren Sophie Wagner übernehmen. Die 35-Jährige, die gerade Nachwuchs erwartet, ist auf der Baustelle, um Material zu liefern. Komplettiert wird der Familienbetrieb von Mutter Petra Wagner (61). Die gelernte Zahnarzthelferin macht die Buchführung.
Obwohl die Wagners mehr als genug Arbeit haben, ist die Firma in den vergangenen Jahrzehnten personell geschrumpft. Während man in der Hochzeit 14 Angestellte hatte, schmeißen die Wagners und Geselle Machmout heute den Laden alleine. Dabei würde Thomas Wagner in seinem Meisterbetrieb liebend gerne Nachwuchs ausbilden. Allein die Bewerberanfragen sinken so schnell, wie sich die Auftragsbücher füllen. Seit einem Jahr habe sich niemand mehr gemeldet. »Früher sind wenigstens noch welche gekommen, um sich pro forma ihre Unterschrift abzuholen, damit sie nachweisen können, dass sie sich bemüht haben«, klagt Wagner. »Die Jugend will nur noch Tasten drücken und sich nicht die Hände schmutzig machen«, lautet seine Diagnose. In seiner Generation sei das noch anders gewesen. Mit 13 sei er von der Schule abgegangen, weil sein Vater ihm gesagt habe: »Junge, Du wirst Heizungsbauer.« Mit 19 hat Thomas Wagner dann seinen Meister gemacht und diese nicht ganz freiwillige Berufswahl nie bereut. »Der Beruf ist zukunftssicher. Geheizt werden muss immer und auch das Wasser muss immer laufen, sei es in der Küche, der Dusche oder in der Toilette.«
Fardin Machmout bestätigt das. »Der Job ist abwechslungsreich, wir sind ein gutes Team, das Geld stimmt auch und bei Wagner hat man viele Freiheiten.« Allerdings müsse man auch mal bereit sein, über den Feierabend hinaus zu arbeiten, weil Arbeitszeiten flexibel seien. »Ich kann schließlich keinem Kunden sagen: ›Feierabend, bis morgen gibt es kein Wasser und keine Klospülung‹«, betont Thomas Wagner.
Der 34-jährige Machmout und die ein Jahr ältere Sophie Wagner, die gerade ihre Meisterprüfung absolviert, gehören einer Generation an, die von dem technischen Fortschritt profitiert, der die körperliche Arbeit auch für Heizungstechniker wesentlich erleichtert hat. So schwer heben wie einst der Chef müssen sie nicht mehr. Die Rohre, die Thomas Wagner noch aufs Dach schleppen musste, sind heute nicht mehr aus Metall, sondern aus Kunststoff und werden vom Großhändler direkt bis auf die Baustelle geliefert.
Und auch die Kupferrohre, die sich für das Auge des Laien scheinbar regellos durch den Keller winden, werden heute nicht mehr mühsam mit Hanffasern abgedichtet und dann mit Zinn verlötet, sondern einfach zusammengepresst. Das geht schneller und hält bombenfest.
Thomas Wagner erläutert, wie ausgeklügelt und effizient heute eine gut installierte und eingestellte Gasheizung arbeitet. Verlässt das erhitzte Wasser den Brenner mit knapp 50 Grad, kehrt es aus der Wohnung noch mit 23 Grad Resttemperatur zurück und muss vor dem neuen Durchlauf dementsprechend weniger aufgeheizt werden. Ziehe man die Raumtemperatur in der Wohnung ab, zeige sich, dass in solch einem System kaum Wärme verlorengehe.
Neben dem Einbau von Gas-thermen gehören Kundendienst, Wartung, Fehlersuche und Kanalreinigung im kleineren Rahmen zum Angebot des Wiesecker Handwerkbetriebs. Angefangen beim berühmten tropfenden Wasserhahn bis zum behindertengerechten Umbau eines Bades mit Elektroinstallationen, kommt bei Wagner alles aus einer Hand.
Am kommenden Riesengeschäft, das die Politik seiner ohnehin schon am personellen Limit arbeitenden Branche zugedacht hat, will sich Wagner allerdings nicht beteiligen. »Die Wärmepumpe? Die ist ein reiner Energieumwandler, so wie ein Kühlschrank. Aber der Strom dafür kommt vor allem aus der Kohle«, meint er. Wer glaube, Deutschland so klimaneutral zu machen, befinde sich auf dem Holzweg, ist der Fachmann überzeugt. Und er betont: »Ich kann den Leuten nur etwas verkaufen, von dem ich selbst überzeugt bin.«
Die Ausbildungszeit zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik beträgt in der Regel dreieinhalb Jahre. Rechtlich ist keine bestimmte Schulbildung vorgeschrieben. Die Ausbildung findet dual in einem Meisterbetrieb und in einer Berufsschule statt. Anlagenmechaniker sollten ein großes Interesse an Technik haben.
Da sie auch mit elektrischem Strom umgehen müssen, gilt es, handwerkliches Geschick mitzubringen und sorgfältig zu sein. Auch schwindelfrei sollte man sein, wenn man beispielsweise eine Solaranlage auf einem Hausdach montiert. Wichtig ist zudem Kreativität. Jedes Haus, jede Heizung stellt einen vor neue Herausforderungen.
Anlagenmechaniker arbeiten teilweise im Betrieb, sind aber häufig auch bei Kunden vor Ort im Einsatz. Deshalb muss man mobil und mitunter auch zeitlich flexibel sein.
Die erste Prüfung steht nach 18 Monaten an, der zweite Teil zum Abschluss der Ausbildung. Teil der Prüfung ist eine praktische Aufgabe. Im Handwerksbetrieb beendet der Anlagenmechaniker seine Ausbildung als Geselle. Die Vergütung beträgt im ersten Ausbildungsjahr 620 Euro und steigt bis zum vierten Lehrjahr auf 868 Euro im Monat. (ib)

