»Booster für die Innenstadt«

Es ist still geworden um die Lahnwelle in Gießen. Aber das Projekt läuft und im Herbst erwartet die Stadt ein wichtiges Gutachten.
Gießen. Surfen vor der eigenen Haustür: Im Dezember 2020 ist diese Idee geboren. Eine Machbarkeitsstudie zeigt im September 2021 auf, dass die Lahnwelle durchaus realisierbar ist - dann wird es still. Hat sich das Projekt damit erledigt? Nein: »Die notwendigen weiteren Schritte zur Vorsondierung sind eingeleitet worden: Ein Gutachten wurde beauftragt, das die Kartierung zu Biotopen, Flora und Fauna und auch die Erfassung der Fischfauna umfasst. Mit Ergebnissen wird im Herbst gerechnet«, berichtet Magistratssprecherin Claudia Boje. Auch in Hannover hat man einen langen Atem gebraucht. Dort ist das Surfen auf der Leinewelle aber mittlerweile möglich. Mit Mitstreitern vom »Team Lahnwelle« hat sich Janne Paul Schmidt die niedersächsische Surfwelle angesehen. »Die Leinewelle ist spektakulär und einfach zu surfen«, sagt der Gießener im Gespräch mit dem Anzeiger. Das Lahn-Projekt hat er selbst gegründet.
Pläne, Gutachten, Finanzierungsfragen
Letztes Wochenende im April. Zahlreiche Besucher säumen die hohen Mauern an der Leine in Hannover. Der Andrang ist groß. Und das nicht nur, weil die vierte »Deutsche Rapid Surf Meisterschaft« stattfindet. Nach zehn Jahren Entwicklung können Heiko Heybey und Sebastian Stern als Vorsitzende des Vereins Leinewelle das Projekt offiziell eröffnen. Hinter den beiden und ihren Mitstreitern liegt eine lange Strecke, gesäumt von Planungen, Gutachten und Finanzierungsfragen. Erste große Schritte auf einem ähnlichen Weg gehen die Gießener im September 2021.
Prof. Markus Aufleger von der Universität Innsbruck stellt einen Zwischenbericht seiner Machbarkeitsstudie vor. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass eine Welle von zwölf Metern Breite am Wehr bei den Gießener Stadtwerken möglich ist. Sie könne dort auf natürliche Weise entstehen und über Turbinen zusätzlich Energie erzeugen. Im Dezember 2021 beschließen die Stadtverordneten den Haushalt 2022, der 10 000 Euro Planungskosten für die Welle in der Lahn vorsieht. Neben der Beauftragung des Gutachtens sei die Stadt derzeit im Gespräch mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt Koblenz, um notwendige Anforderungen auch aus dieser Perspektive zu klären. »Fazit: Es wird zunächst verabredungsgemäß alles das untersucht, was fachlich nötig ist, um die Realisierung des Projekts zu prüfen.«
»Eine solche Welle ist ein Publikumsmagnet und Booster für die Innenstadt mit positiven Effekten für den Einzelhandel. Gießen ist momentan der einzige Standort in Hessen, an dem die Umsetzung einer Welle realistisch ist«, ergänzt Schmidt. Noch vor der Eröffnung habe das »Team Lahnwelle« die Gelegenheit gehabt, die niedersächsische Welle zu testen und so auch Erfahrungen für das eigene Projekt zu sammeln. »Wir wollen in der Lahn eine Welle für alle Generationen, für Anfänger und Profis realisieren. Einzige Voraussetzung für das Flusswellenreiten ist, schwimmen zu können«, führt der Gießener aus. Die Zusammenarbeit mit dem Rathaus sei sehr eng und »Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher ist eine große Unterstützung für uns«.
Inspiration aus München
In Hannover kommt 2013 die erste Idee zur Leinewelle auf. Inspiriert habe ihn die Münchner Eisbachwelle und damit eine der ersten Flusswellen in Deutschland, erinnert sich Heybey im Gespräch mit dieser Zeitung. »Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr selbst Surfer«, berichtet der Architekt, der sich schon bald auf die Suche nach einem Standort in Hannover machte.
Als der in der Leine gefunden ist, stoßen die Initiatoren aber auf ein neues Problem, dass eine Gießener Welle am Wehr bei den Stadtwerken nicht hätte. »Für uns stellte sich die Frage, wie wir die Welle an dem Ort realisieren sollen, weil es dort kein Gefälle gibt«, verdeutlicht der Vorsitzende, der als Architekt selbst an den Plänen gearbeitet hat. Die technische Lösung eines temporären Wasseraufstaus mithilfe sogenannter »Dreamwave«-Technik erklärt die Stadt Hannover auf ihrer Internetseite: »Die ›Dreamwave‹-Technik besteht aus einem vollständig versenkbaren Wehr, welches nur für den Surfbetrieb das Wasser aufstaut, um das notwendige Gefälle für die Welle herzustellen. Gleichzeitig lassen sich die Rampe und der ›Kicker‹ stufenlos im Winkel verstellen und an die Unterwasserhöhe anpassen. Das ermöglicht - zusammen mit einer Teilung in zwei unterschiedlich breite Segmente - eine maximal flexible Anpassung an die Wassermengen und damit unterschiedlichste Wellenformen.« Es handele sich dabei um Technik von Markus Aufleger, der auch die Gießener Machbarkeitsstudie erstellt hat. Die Kosten für das niedersächsische Projekt beziffert Heybey auf rund 2,5 Millionen Euro. Neben der eigentlichen Wellentechnik umfassten sie unter anderem die Erstellung von Gutachten, Arbeiten im Fluss sowie Nebenkosten wie die Zuwegung oder Sicherungsmaßnahmen. Die Politik habe grünes Licht für das Projekt erteilt und das Grundstück umsonst zur Verfügung gestellt. Aber »die Finanzierung haben wir fast komplett über Sponsoren und Spenden gemacht«. Darüber habe man zwei Millionen Euro aufgebracht. »Die letzten 500 000 Euro haben wir über einen Kredit finanziert, den der Verein abtragen muss«, erläutert der Vorsitzende, der anderen Initiativen abrät, diesen Weg der Finanzierung zu gehen. Darüber hinaus bräuchten sie jede Menge Ausdauer und Geduld. Die Umsetzung eines solchen Projektes könne sieben bis zehn Jahre dauern.
Hessens erste Flusswelle rücke die Stadt aber positiv in den Fokus, meint Heinz-Jörg Ebert. Der Vorsitzende des BID Seltersweg spricht von einem Meilenstein und Alleinstellungsmerkmal, das Brücken in die Innenstadt schlagen werde. Von Anfang an sei das BID im Austausch mit den Initiatoren der Lahnwelle.