Brüder im Geiste

Gießen. Immer eine Wohltat sind die Abende unter dem Motto »Stories. Wein. Musik.« die der Gießener Christoph Jilo veranstaltet. Er sucht regelmäßig lesens- und hörenswerte Geschichten heraus, die im »Who killed the pig« von kundigen Sprechern vorgetragen werden. Als Zusatzwohltat kommt auch etwas Musik hinzu, diesmal von Vassily Dück am Akkordeon.
Den Wein holen sich die Besucher dann selbst.
Auch diesmal war das Haus schon Wochen im Voraus ausverkauft; sodass Veranstalter Jilo zufrieden in die Runde blicken konnte. »Heute wird es nicht so sehr harmonisch,« mahnte er seine Gäste zur inneren Vorsicht, aber ein kleiner Wechsel von der bisherigen Gute-Laune-Leseweise gehöre für ihn dazu. Wie sich herausstellte, goutierten die Zuhörer sämtliche Texte. Abwechslung wird also durchaus geschätzt.
Als Sprecherin hatte Jilo zum zweiten Mal die Schauspielerin Jessica Higgins (geboren 1976) ausgesucht. Sie trat auf zahlreichen deutschen Bühnen auf und spielte etwa in David Cronenbergs »Dunkler Begierde« sowie in einigen TV-Serien mit. Zudem arbeitet sie als Hörspiel- und Synchronsprecherin. Den niveauvollen musikalischen Hintergrund gestaltete Vassily Dück, der an renommierten Häusern wie der Oper Frankfurt, dem Schlossparktheater Berlin tätig war. In der Gießener Region trat er im Duo »Schachmatt« mit dem Geiger Robert Varady auf.
Den literarischen Anfang machte ein Text von Jörg Fauser, für Christoph Jilo »der kleine deutsche Bruder von Charles Bukowski«. In »Du liebst mich nicht« schildert er, wie ein Mann das gemeinsame Heim mit der Freundin verlässt, weil sie schlechte Laune hat. »Frauen wollen immer Liebe, Musik und Abwechslung«, meckert er vor sich hin. Kontaktfreudig wie er ist, geht er mit Bernadette heim. »Jede Frau hat einen Wischer, aber die hat Stil«, konstatiert er bald, aber ein bisschen zu verhuscht ist sie ihm dann doch. Hauser schreibt das mit einem trocknen, direkten Humor, der durchaus an Bukowski erinnert: ein Bruder im Geiste.
Erheblich komplexer ist Ottessa Moshfeghs »Mr. Wu«, die Geschichte eines merkwürdigen Herrn, der sich in eine Frau in einer Spielhalle verliebt - glaubt er jedenfalls. Er ist von zahlreichen Aggressionen gegen sich selbst geplagt. Faszinierend, wie die preisgekrönte Autorin (2016 Man Booker Prize) ihre Figur zwischen entflammter Liebe und unverhofften Selbstzweifeln wanken lässt. Dann wieder enthalten SMS, die er der Auserwählten schickt, einen so spröden wie liebenswürdigen Charme. Ein wunderbar poetischer Stil herrscht da, den Higgins anrührend klingen lässt. Raffiniert konstruiert, unterhält die Story mit vielen Überraschungen und unverhofften Wendungen. Eine Überraschung mit Knalleffekt gab es zudem am Ende.
Zum Abschluss gab es dann Fausers »Bruder« Charles Bukowski zu hören. »Ein teuflischer Weiberheld« ist eine elegant formulierte Geschichte, in der der Teufel die Kontrolle über das Leben des Erzählers übernimmt. Verblüffend, wie der US-Amerikaner das zwischen leichtem Gruseln und witzigen Szenen changieren lässt - äußerst kurzweilig noch dazu. Genau wie der ganze Abend, der durch Jessica Higgins‹ souveränen Vortrag besonders dicht wurde. Vassily Dück rundete das Ganze gekonnt mit teils solistisch verzierter französischer Chansonkost oder Popsongs ab. Es war einer der bislang besten Abende der an Glanzlichtern reichen Reihe.
Die nächste Folge am 28. März ist bereits ausverkauft. Weiter geht es dann am 23. Mai. Frühes Kartenreservieren wird empfohlen.