»Bürokratie behindert Schulentwicklung«
Annette Greilich geht nach 22 Jahren im Schuldienst in den Ruhestand. Zuletzt war sie Leiterin der Wirtschaftschule am Oswaldsgarten in Gießen. Im Interview zieht sie Bilanz.
Gießen. Annette Greilich, Schulleiterin der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten, geht heute in Ruhestand. Seit 2001 war sie im Schuldienst, davon 14 Jahre Mitglied einer Schulleitung, zunächst an der Max-Weber-Schule als stellvertretende Leiterin, von 2011 bis jetzt leitete sie die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten. Der 31. Januar ist ihr letzter Arbeitstag.
Frau Greilich, Sie sind 1958 in Hamburg geboren und dort auch zur Schule gegangen. Wie sind Sie nach Hessen und nach Gießen gekommen?
Ich wollte Ökotrophologie studieren und die ZVS hat mich 1979 nach Gießen geschickt. Eigentlich hatte ich vor, in Kiel zu studieren und wurde - wie viele - nach Gießen verschickt. Hier habe ich meinen späteren Mann kennengelernt und bin geblieben.
Sie studierten Ökotrophologie. Wie kamen Sie mit diesem Fach in den Schuldienst?
Ich habe als zweites Fach Englisch studiert und habe zusätzlich zum Diplom auch das erste und zweite Staatsexamen abgelegt. Das war möglich und ich bin der Überzeugung, dass man, wenn Bildungsabschlüsse angeboten werden, die Chance nutzen sollte, denn Deutschland lebt und liebt Bescheinigungen.
Ihr Studium und Ihr Referendariat haben Sie 1987 abgeschlossen, aber erst 2001 sind Sie in den Schuldienst gewechselt. Was geschah in der Zwischenzeit?
1987 bekam man nicht so einfach eine Stelle und schon gar nicht direkt in Gießen, zudem war ich zu diesem Zeitpunkt zweifache Mutter und mein Mann hatte sich gerade als Rechtsanwalt und Notar niedergelassen. Schule und zwei kleine Kinder - das war schon im Referendariat schwierig. Daher habe ich mich bewusst für Familienzeit entschieden, habe in der immer größer werdenden Kanzlei meines Mannes mitgearbeitet. Der große Vorteil, ich konnte meine Zeit flexibel gestalten. 2001 konnte ich zunächst als Teilzeitkraft an der Max-Weber-Schule anfangen, ab 2005 habe ich mit voller Stundenzahl gearbeitet. 2009 wurde ich stellvertretende Leiterin der Max-Weber-Schule, bevor ich quasi über den Schulhof als Schulleiterin der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten wechselte.
Sie sind ein bekanntes Gesicht in der Gießener FDP. Wie kamen Sie gerade zu dieser Partei?
Schon in Hamburg wusste ich, dass das meine Partei ist. Als ich nach Gießen kam, bin ich direkt eingetreten. Auf einer FDP-Veranstaltung habe ich meinen Mann kennengelernt. Ich habe mich gern politisch engagiert, zunächst im Ortsbeirat Kleinlinden, dann im Stadtparlament. Zudem war ich noch in verschiedenen Ausschüssen und Kommissionen, zuletzt auch Mitglied der Enquetekommission des Bundestages für »Berufliche Bildung in der digitalen Welt«. Heute bin ich nur noch einfaches Mitglied. Irgendwann muss man einfach auch Jüngere ranlassen.
Gab es Gründe, warum Sie 2011 nicht mehr kandidierten?
Ja, 2011 war das Jahr, in dem ich Schulleiterin geworden bin. Ich halte es für einen Interessenskonflikt, wenn man auf der einen Seite Schulleiterin ist und auf der anderen Seite über den Etat dieser Schule im Parlament mitbeschließt. Daher habe ich den Schlussstrich gezogen. Den Schritt habe ich nicht bereut.
Thema Schule: Wie fällt das Resümee Ihrer Arbeit aus?
Ich habe es immer als sehr hilfreich empfunden, dass ich einige Jahre in der Wirtschaft gearbeitet habe. Auch meine Ausbildung war so ausgelegt, dass ich sowohl als auch arbeiten konnte. Das halte ich für sehr wichtig. Gerade an einer beruflichen Schule ist es gut zu wissen, wie Wirtschaft funktioniert.
Wie sehen Sie Ihre Aufgaben als Schulleiterin?
Die gesamte Schulleitung hat unglaublich viel mit der Bürokratie zu kämpfen und Corona hat dem noch die Krone aufgesetzt. Es ist sehr mühselig, für was wir alles Meldungen abgeben müssen. Der riesige Berg an Bürokratie hindert uns daran, im Bereich der Schulentwicklung voranzukommen. Ich weiß, dass die Mittel der Stadt für die Schulen sehr knapp sind. Doch gerade darin muss mehr investiert werden. Die Verhandlungen mit den verschiedenen Ämtern, besonders dem Hochbauamt, gestalten sich immer sehr langwierig. Es dauert einfach viel zulange, bis irgendetwas passiert. Wir hatten beispielsweise jahrelang verhandelt, bis endlich die Klassenräume und Flure neu gestrichen wurden. Das zermürbt. Das hat auch meinen Entschluss bekräftigt, ein Jahr früher als normal in den Ruhestand zu gehen.
Als Schulleiterin stehen Sie im Spannungsfeld zwischen den organisatorischen Aufgaben und Ihrem eigentlichen Lehrerberuf. Wie sehen Sie das?
Eigentlich hat man da permanent ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Schülern. Man glaubt diesen nicht gerecht zu werden, da der Verwaltungsaufwand und der Termindruck enorm hoch sind. Allerdings braucht man auch den Kontakt zu den Schülern, um zu wissen, was in ihnen vorgeht. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich kenne jetzt leider oft nur zwei Typen von Schülern: die einen, die eine Auszeichnung bekommen haben oder die etwas ausgefressen haben und deshalb vor mir stehen.
Hat sich das Verhalten der Schüler im Laufe der Jahre verändert?
Insgesamt sind die Schüler heute weniger konfliktfähig. Sie können weniger gut mit Misserfolgen umgehen. Auch hier hat Corona bei bestimmten Verhaltensmustern noch die Krone aufgesetzt. Der Zugang zu ihnen ist heute um ein Vielfaches schwerer als früher. Wir haben es heute häufig mit psychisch hochbelasteten Menschen zu tun.
Wie sehen Sie Ihre Schule im Vergleich zu den anderen weiterführenden Schulen?
Wir haben rund 1100 Schüler aus 30 Nationen, davon sind rund 200 Flüchtlinge, die auf elf Integrationsklassen verteilt sind. Das sind mehr als in der Flüchtlingskrise 2015. Damals besuchte uns Bundespräsident Joachim Gauck. Das war eine beeindruckende Begegnung, an die wir alle gern zurückdenken. Aus den damals gewonnen Erfahrungen profitieren wir heute. Daneben wird leider unser berufliches Gymnasium oft unterschätzt. Hier kann man ebenso wie an allen Gymnasien seine allgemeine Hochschulreife erlangen. Ich weiß, dass für viele Schüler hier der richtige Platz ist.
Was geben Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg?
Ich wünsche, dass er oder sie sich bei den entsprechenden Stellen durchsetzen kann, dass die Pläne für eine moderne und zeitgemäße Pädagogik auch wirklich baulich umgesetzt werden. Auch der Neubau einer Schulsporthalle ist dringend erforderlich. Leider sind die Vorschläge für ein großes, für alle Innenstadtschulen gemeinsam nutzbares Schulsportzentrum bisher auf taube Ohren gestoßen. Aber hoffen kann man ja.
Was werden Sie ab dem 1. Februar tun?
Ich lasse es auf mich zukommen. Pläne haben mein Mann und ich sehr viele. Wir wollen reisen, uns um unsere Enkel kümmern und unser Handicap beim Golfen verbessern.