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Bundesweit »katastrophale« Lage

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Von: Frank-Oliver Docter

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In einer Fotoausstellung werden am Klinikum Menschen gezeigt, die mit der Organspende Leben gerettet haben. Foto: Docter © Docter

Kinderherzen, Nieren und Lungen: Das Transplantationszentrum des Uniklinikums Gießen und Marburg nennt Organspendezahlen für 2022 - und die sind ziemlich ernüchternd.

Gießen . Mit dem Abklingen der Corona-Pandemie wuchs bei Medizinern und betroffenen Patienten die Hoffnung, dass die bundesweiten Organspendezahlen wieder steigen. Doch dazu ist es bislang nicht gekommen. Im Gegenteil sei die aktuelle Situation »ziemlich katastrophal«, betonte Prof. Rolf Weimer beim Transplantationskolloquium des Gießener Universitätsklinikums (UKGM). Laut dem Sprecher des Transplantationszentrums sind die Zahlen sogar weiter gesunken. Pro einer Million Einwohner gebe es nun weniger als zehn Spender.

2022 waren es in ganz Deutschland tatsächlich nur 869, noch 64 weniger als im Jahr davor, berichtete Privatdozentin Dr. Ana Paula Barreiros. 104 davon leben in den drei Bundesländern der Region Mitte der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), zu denen auch Hessen gehört, das mit 51 noch die meisten hiervon stellt. Für die entnommenen Organe konnte die geschäftsführende Ärztin des DSO-Bereichs Mitte ebenfalls keine Besserung vermelden. Hier sank die Zahl deutschlandweit von 2905 auf nunmehr 2662. Den 869 Spendern stehen rund 8500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ gegenüber.

Führendes Zentrum

Von dieser negativen Entwicklung blieb das Uniklinikum nicht verschont, an dem Nieren, Lungen und Kinderherzen transplantiert werden. Bei letzteren sank die Zahl der verpflanzten Organe von zehn auf sechs im vergangenen Jahr, berichtete Oberärztin Dr. Susanne Skrzypek. Laut der von ihr präsentierten Statistik waren die Kinder zum Zeitpunkt der Transplantation von siebeneinhalb Monaten bis zu knapp 15 Jahren alt. Wie Barreiros anmerkte, wurden im vergangenen Jahr an keinem anderen Kinderherzzentrum in Deutschland so viele Herzen verpflanzt wie in Gießen.

Einen zahlenmäßigen Rückgang verkraften musste auch der von Weimer geleitete Bereich der Nierentransplantation. Hier waren es 20 nach vormals 32 verpflanzten Organen. Bei 139 Personen, die zum Jahresende 2022 auf der Warteliste standen und oftmals seit vielen Jahren auf die Dialyse angewiesen sind. Jeweils zehn der Nieren waren Lebend- und postmortale Spenden. Die »wenigen Angebote« hätten noch dazu häufig eine schlechte Organqualität gehabt. Daher zeigte sich der Nephrologe erfreut, dass zurzeit 24 Transplantationen in Vorbereitung sind. Zu verdanken ist das zum Teil auch dem hierfür zur Verfügung stehenden Verfahren der Blutgruppen-inkompatiblen Nierentransplantation.

Bei den verpflanzten Lungen gab es dagegen 2022 keinen Einbruch in Gießen. Nach elf im Jahr 2021 konnten nun zwölf Patienten von einer Organspende profitieren, berichtete Oberarzt Dr. Stefan Kuhnert. Die Hauptgründe für eine Transplantation haben sich jedoch verlagert. Sei dies früher noch die Chronisch Obstruktive Lungenerkrankung (COPD) gewesen, würden die Betroffenen jetzt überwiegend unter einer Lungenfibrose leiden, bei der vermehrt gebildetes Bindegewebe die Organfunktion stark einschränkt. Die transplantierten Patienten seien zudem inzwischen älter, so Kuhnert. Der Älteste, der im vergangenen Jahr eine Lunge erhielt, war 69.

»Es gibt immer wieder tolle Projekte, die Sie hier am Klinikum haben«, lobte Barreiros die Gießener Kollegen und dankte ihnen zugleich für deren Bemühungen in Sachen Organspende. Den fünf Unikliniken in der DSO-Region Mitte stünden jedoch 186 normale Krankenhäuser und 15 mittelgroße Kliniken gegenüber, erläuterte sie. In all diesen hat die Ärztin einen »unguten Trend« ausgemacht: »Es gibt eine deutliche Zunahme von ›keine Zustimmung‹.« Immer häufiger würden Angehörige von hirntoten Patienten der Organentnahme nicht zustimmen, wenn kein Organspendeausweis vorliegt und der diesbezügliche Wille des Sterbenden unbekannt ist.

Deutliches Votum

Die folgende Diskussion führte zur Frage, ob es nicht besser wäre, die in Deutschland geltende Zustimmungslösung durch die Widerspruchslösung zu ersetzen. Bei dieser dürfen Organe entnommen werden, solange sich der Betroffene nicht zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen hat, was in anderen Ländern wie etwa Spanien zu deutlich höheren Organspendezahlen führt. Die Abstimmung unter den Teilnehmern fiel fast einstimmig für letztere Lösung aus. Allerdings gab eine Ärztin zu bedenken, dass es sich bei der niedrigen Organspendebereitschaft um »ein gesellschaftliches Problem« handelt.

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