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Chancengleichheit ist nicht gegeben

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Von: Julian Spannagel

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Interviewer und Interviewte: JLU-Studierende haben im Rahmen eines Seminars zum »Black History Month« Schwarze Menschen aus Gießen und Hessen befragt. Foto: Spannagel © Spannagel

Rassismus ist, auch wenn es viele nicht glauben wollen, noch immer ein Problem in Deutschland. Dafür interessieren sich auch Studierende der Justus-Liebig-Universität (JLU).

Gießen . Rassismus ist, auch wenn es viele nicht glauben wollen, noch immer ein Problem in Deutschland. Dafür interessieren sich auch Studierende der Justus-Liebig-Universität (JLU), die nun in einem Seminar anlässlich des »Black History Month« neun Schwarze Menschen aus Gießen und Hessen interviewt haben. Vielfältige Lebensgeschichten kamen dabei zusammen, die jedoch auch immer wieder Rassismus enthielten.

Alem Yemane war einer der Interviewpartner. Der gebürtige Äthiopier lebt seit 1980 in Gießen, fühlt sich hier zuhause. Er betreibt das Restaurant »Mama of Africa« in der Bahnhofstraße, engagiert sich beim Ausländerbeirat. Die rund 40 Gäste in einem Seminarraum am Philosophikum I hören ihn und die anderen in einem Video sprechen; einzelne Interviewausschnitte sind für die Präsentation zusammengestellt worden.

In den Jahrzehnten, die er hier verbracht hat, hat Yemane auch Rassismus erlebt. Beispielsweise bei der Wohnungssuche. »Je dunkler man ist, desto schlechter ist deine Chance«, so Yemane. Auch beim abendlichen Ausgehen hat er gespürt, was es bedeuten kann, schwarz zu sein. »Nur für Clubmitglieder« haben Türsteher zu ihm gesagt, wenn er in die Diskothek wollte. Weiße Freunde hingegen durften einfach rein. Willkürliche Ausweiskontrollen durch die Polizei musste er ebenfalls erdulden.

Als schwarze Frau im Büro

Karin Gollasch ist ebenfalls bereits eine ganze Weile in der Stadt zugegen. Während sie zur Schule gegangen ist, wurde sie erstmals mit Rassismus konfrontiert. »Schmutzig« nannte jemand ihre schwarze Haut. Nach der Schulzeit hat sie fünf Jahre auf dem Sozialamt mit Asylbewerbern gearbeitet. Vertrauen herzustellen, war für Gollasch meist etwas leichter als für einen weißen Kollegen, den sie als nett beschreibt. Allerdings wurde sie auch dort diskriminiert, indem Mitarbeiter misstrauisch auf eine schwarze Frau als Büroangestellte reagierten. »Mein Vater ist ein schwarzer Ami«, hat sie sich dann über die Jahre als Erklärung angewöhnt. Die Arbeit mit Menschen hat ihr dann grundsätzlich ganz gut gefallen, sodass sie schließlich 19 Jahre als Personalratsvorsitzende der Stadt arbeitete. Wie schwer es ist, in Deutschland als schwarzer Mensch akzeptiert zu werden, davon berichtet auch Benga Souza Mavinga aus Pohlheim. Dort ist er den Menschen bekannt, doch einen Ort weiter nimmt er wahr, dass die Menschen anders auf ihn reagieren. Das können etwa Blicke und Fragen sein.

»Du kommst wirklich nie an«, so der Pohlheimer mit kongolesischem Migrationshintergrund, mit einem gewissen Humor in seinen Erzählungen. Sehr kritisch äußert er sich dazu, welches Bild insbesondere schwarzen Kindern von anderen Schwarzen vermittelt werde - etwa, wenn »Fliegen in den Augen« von afrikanischen Kindern zu sehen seien, was aus der Bildsprache von Spendenorganisationen bekannt ist. Souza Mavinga weist insgesamt darauf hin, dass Schwarze häufig leidend gezeigt würden, woraus im Umkehrschluss insbesondere negative Assoziationen folgten.

Anhand dieser Erzählungen wird deutlich, was auch Ziel des Seminars war. Es seien individuelle Geschichten, die den Studierenden erzählt worden sind, so die Seminarteilnehmerin Ida Schomber. Oliver Fourier von der Gießener Regionalgruppe der »Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze Menschen in Deutschland« (ISD), der das Seminar mit seiner Expertise unterstützt hat, fügte hinzu, dass zu Rassismus gehöre, dass Weiße »schwarze Menschen als Gruppe wahrnehmen«. Für Erstere hingegen sei es normal, als Individuen wahrgenommen zu werden. Wie Ida Schomber zudem erklärt, sei es bei den Interviews um die allgemeinen Lebenserfahrungen der Interviewten gegangen, um diese entsprechend nicht auf ihre Rassismuserfahrungen zu reduzieren.

Erste Erwähnung in Regierungserklärung

Zwei der Gesprächspartner griffen zudem auf, was konkret gegen die Diskriminierung getan werden könne. Laut der Frankfurterin Jeanne Nzakizabandi könne etwa infrage gestellt werden, warum der Koalitionsvertrag der Bundesregierung bei der Erinnerungskultur zu Kolonialismus vage bleibt, wenngleich dies erstmals überhaupt in einer Regierungserklärung Erwähnung findet. Ruth Hunstock, die aus Kassel kommt und zudem als Antirassismus-Akivistin bekannt ist, erklärte zudem: »Weiße Menschen müssen die Hauptarbeit gegen Rassismus leisten.« Diese hätten im Gegensatz zu Schwarzen Menschen die Wahl, sich zu engagieren. Ein Luxus, den sie laut Hunstock nicht haben sollten. Aktiv werden ginge bei lokalen Initiativen.

Mit dem Ende des »Black History Month« wird die Arbeit des Seminars unter Leitung des Dozententeams aus Nadja Klopprogge (Geschichte) und Florian Hannig (Fachjournalistik Geschichte) nicht einfach verloren gehen. Vielmehr wird sie in zwei deutschen Schwarzen Wissensarchiven sowie im Historischen Institut der JLU aufbewahrt.

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