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»Da muss mehr kommen«

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Von: Rüdiger Schäfer

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Alles in Blau und Weiß bei Blau-Weiß: Zwischen Vereinsfahnen und Vereinsshirt präsentieren sich Nina Heidt-Sommer, Felix Döring (re.), Sportausschussvorsitzender Frank Walter Schmidt sowie Blau-Weiß-Vorsitzender Alexander Jendorff (Mi.) und Vorstandsvize Helmut Appel. Foto: Schäfer © Schäfer

Bürokratie und Ehrenamt: SPD-Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer und weitere Sozialdemokraten erörtern bei Blau-Weiß Gießen Fragen der Vereinsarbeit und was die Politik tun kann.

Gießen. Frisst die Bürokratie die kleinen Sportvereine auf, weil dieser immenser Aufwand mit ehrenamtlicher Tätigkeit auf Dauer nicht mehr zu stemmen ist? Mit dieser Fragestellung sieht sich Nina Heidt-Sommer bei ihrem Besuch der Spielvereinigung Blau-Weiß Gießen konfrontiert. Die SPD-Landtagsabgeordnete hatte ihren Kasseler Genossen Oliver Uloth mitgebracht, der in der SPD-Landtagsfraktion sportpolitischer Sprecher ist.

Mit einer Reihe von Fragen sind beide angereist: Wo drückt der Schuh bei den Vereinen? Wie kann geholfen und unterstützt werden? Welchen Herausforderungen stellen sich ehrenamtlich Tätige? Wie gelingt eine dauerhaft solide Finanzierung der Vereinsarbeit? und Wie schafft man es, Kinder und Jugendliche langfristig zu motivieren und an Vereine und ihre Aktivitäten zu binden?

Mit der anstehenden Landtagswahl am 8. Oktober dieses Jahres rücken auch die Vereinsarbeit und das Ehrenamt wieder deutlich in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit. Denn diese Arbeit wird zwar vor Ort in den Kommunen geleistet, die Rahmenbedingungen werden jedoch auf Landesebene - für Hessen in Wiesbaden - gesetzt. Heidt-Sommer und Uloth wollen erfahren, was Wiesbaden zur Unterstützung »tun kann und muss«. Im Gebrüder-Garth-Vereinsheim an der Ringallee sind beim Gespräch außer Blau-Weiß-Vorsitzender Prof. Alexander Jendorff, Stellvertreter Helmut Appel und Beisitzer Frank Walter Schmidt sowie weitere kompetente Gesprächspartner aus Verein und Sportumfeld dabei. Nicht für alle Fragen gibt es während der regen Aussprache ausreichend Zeit.

Blau-Weiß Gießen, der »Fußballverein der Nordstadt seit 1957«, betreibt gezielt sozial ausgerichteten Breitensport statt Leistungssportprogramm. Markenzeichen ist unter anderem der erfolgreich etablierte Mädchenfußball.

Um die Einbeziehung der im Einzugsgebiet Gießen und dem Schwerpunkt Nordstadt (12000 Bewohner) lebenden Menschen und insbesondere die frühe Integration der Kinder in das städtische »Kindeswohlprogrammm« geht es dem Verein. Bei hoher Mitgliedsfluktuation sind aktuell 330 Personen im Verein angemeldet, darunter 200 Jugendliche. Das Wohnquartier ist gekennzeichnet durch viele Menschen mit geringem Einkommen, Multinationalität, Multireligiosität, eine große Vielfalt an Sprachen und auch viele Studenten. Blau-Weiß Gießen steht somit nicht unbedingt exemplarisch für alle Sportvereine der Stadt. Verdientermaßen stolz ist der Einspartenverein auf die Anerkennung »Stützpunkt Integration durch Sport.«

Für Jendorff stellt für einen kleineren Verein mit nur Ehrenamtlichen die zunehmende Bürokratisierung des Vereinslebens eine fast nicht mehr zu stemmende Belastung dar. Dem stimmt Gerhard Kerzmann, Vorstand des TSV Kleinlinden, zu: »Wir verlieren Trainer allein dadurch, dass aus zwei Stunden Training mit Dokumentationspflicht drei Stunden werden.« Fast ein Jahr habe sein Verein auf zugesagte Zuschüsse in Höhe von 30 000 Euro warten müssen. »Die kommen nicht zeitnah an.«

Der Blau-Weiß-Vorsitzende erzählt, dass bei ihnen viele Mitgliedsbeiträge vom Leistungsträger übernommen würden. »Der Geldtransfer zu uns ist oft nervenaufreibend, zeitaufwendig und langwierig.« Das müsse auch einfacher gehen. Bei dem Antrag auf Genehmigung für eine Vereinsgaststätte beklagt er: »Für eine neue hätte ich meine gesamten Vermögensverhältnisse angeben müssen.«

Für Appel ist nicht hinnehmbar, dass bei dem bisher vergeblichen Bemühen, den aus staubigen Körnchen bestehenden Hartplatz in einen Kunstrasenspielfeld umzugestalten, »dies nicht in sportlicher Hinsicht, sondern politisch« entschieden werde. Wegen Energiesparmaßnahmen hätten in den Wintermonaten die Umkleiden und Duschen drei Monate nicht zur Verfügung gestanden. »Doch das Flutlicht ist noch immer nicht auf energiesparende LED-Lampen umgestellt und verbraucht sehr viel Strom.« Schmidt nennt als sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Sportausschussvorsitzender einige Zahlen: »Von 105 Sportvereinen in der Stadt sind 86 eingetragen. Die Mitgliederzahl hat im letzten Jahr um fünf Prozent auf 21 000 zugenommen.« Die Stadt versuche so unbürokratisch wie möglich die Vereine zu unterstützen. »Für Sportförderung geben wir so viel aus wie noch nie. Und investiv rund eine Million pro Jahr.«

MdB Felix Döring (SPD) berichtet, dass der Bundestag beschlossen habe, dass Mitgliederversammlungen künftig auch hybrid (gleichzeitig anwesend und online) abgehalten werden können. Heidt-Sommer lobt: »Ich weiß, was hier bei Blau-Weiß geleistet wird.« Für sie ist Sportpolitik auch Sozialpolitik. Das Land habe seit Jahrzehnten seine Hausaufgaben nicht gemacht. »Da muss mehr kommen!« Das Ehrenamt müsse gestärkt und stärker anerkannt werden. Übereinstimmung herrscht in der Runde, das dies nicht allein mit Geldzuwendungen zu machen ist: »Kreative Lösungen sind gefragt.«

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