Da sein bis zum Schluss

Sterbende nicht alleine lassen - das ist das Hauptanliegen des Hospiz-Vereins. Vor 25 Jahren wurde er in Gießen gegründet.
Gießen . Über den Tod sprechen, auf die Bedürfnisse Sterbender eingehen und sie nicht alleine lassen - das war es, was sich die Aktiven um Pfarrer Robert Cachandt vorgenommen hatten, als sie vor 25 Jahren den Hospiz-Verein gründeten. Erste Gespräche hatte es bereits ein Jahr zuvor gegeben, zur Gründungsversammlung im Frühjahr 1997 kamen 30 Personen. Cachandt wurde zum Vorsitzenden gewählt und blieb es 20 Jahre lang. Seit 2017 führt Erwin Kuhn den Verein. »Robert Cachandt hatte eine klare Zielvorstellung«, sagt er. Das Thema »Tod« sollte enttabuisiert und die Lücke, die es rund um die Begleitung am Lebensende gab, geschlossen werden.
Heute hat der Verein über 300 Mitglieder und mehr als 100 ehrenamtliche Hospizbegleiter, die schwerkranke und sterbende Menschen in und um Gießen besuchen - sowohl zu Hause, als auch im Hospiz »Haus Samaria«, in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern.
Wie genau die Begleitung aussieht, ist sehr individuell. »Der Sterbende führt Regie«, verdeutlicht der Vereinsvorsitzende. Manche wünschen sich Gespräche, möchten vielleicht noch einmal in Erinnerungen schwelgen oder freuen sich, wenn ihnen vorgelesen wird. Wieder andere haben es lieber still - ohne dabei alleine zu sein. Gleichzeitig werden pflegende Angehörige durch den Besuch der Ehrenamtler entlastet.
In der Regel sind die Hospizbegleiter einmal wöchentlich vor Ort, bei Bedarf und Interesse halten sie zwischen den Treffen etwa per Textnachricht Kontakt mit dem Sterbenden. Die Koordination der Ehrenamtlichen übernehmen Marion Lücke-Schmidt, Stefanie Stuchly und Mirjam Weiß-Arzet. Zusammen mit Anett Rönnig, die unter anderem für die Mitgliederverwaltung zuständig ist, sind sie die einzigen Hauptamtlichen im Verein.
Bittet ein Mensch um Begleitung am Lebensende, führen die Koordinatorinnen ein Erstgespräch. Dabei lernen sie die Person kennen, ihre Interessen und Wünsche. Häufig werde zu Beginn auch die Frage nach den Kosten gestellt. Doch wer eine Hospizbegleitung in Anspruch nimmt, der muss dafür nichts bezahlen. Der Verein finanziert sich über Spenden, die Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse der Krankenkassen.
Anschließend überlegen sich die Koordinatorinnen, welcher Ehrenamtler als Begleiter passen könnte. Hier hilft, dass sie die Freiwilligen schon lange kennen. Denn wer Hospizbegleiter werden möchte, der muss zunächst eine neunmonatige Schulung absolvieren. Davor gibt es zudem ein Einzelgespräch mit jedem Interessenten, in dem die Koordinatorinnen vorfühlen, ob derjenige für die Hospizbegleitung geeignet ist. Außenstehende würden mit Hospizarbeit oft nur Traurigkeit assoziieren, hat Marion Lücke-Schmidt festgestellt. »Aber es ist ein fröhlicher Kurs.«
Die Freiwilligen sind dabei genauso unterschiedlich, wie die Menschen, die sie begleiten. In den Schulungen trifft beispielsweise die Schülerin auf die Ärztin, der Krankenpfleger auf die Personalchefin. Die Frauen sind deutlich in der Mehrheit, rund zehn Prozent der Hospizbegleiter sind männlich. Die jüngste Ehrenamtliche ist erst 17, die Älteste bereits 89 Jahre alt. Denn »egal wie alt man ist«, verdeutlicht Marion Lücke-Schmidt, »jeder Mensch hat in seinem Leben bereits Verlusterfahrungen gemacht«.
Für die Ehrenamtlichen sind die Koordinatorinnen im Notfall rund um die Uhr telefonisch erreichbar. »Die Begleitung Sterbender macht etwas mit einem. Wir haben den Ehrenamtlichen gegenüber eine Fürsorgepflicht«, betont Mirjam Weiß-Arzet. Damit die Freiwilligen mit dem Erlebten nicht alleine bleiben, gibt es zudem monatliche Gruppenabende, ehrfahrene Hospizbegleiter stehen »Neulingen« zur Seite.
Die erste Schulung ehrenamtlicher Hospizmitarbeiter fand 2001 statt. An den Stationen des Universitätsklinikums - damalige Einsatzorte der Freiwilligen - gab es etwa 15 Begleitungen pro Woche. »Die Begleitung hat sich über die Jahre verändert - auch, weil die letzten Wege heute anders sind, als früher«, sagt Marion Lücke-Schmidt. So gebe es heute mehr Möglichkeiten, Angehörige zu Hause zu pflegen. Auch die Dauer des Weges sei nicht mehr so fix wie früher. Wie lange eine Begleitung dauert, ist dementsprechend sehr unterschiedlich: Es können mal nur wenige Stunden, aber auch eineinhalb Jahre sein.
In der Regel betreut der Verein laufend rund 30 schwerkranke oder sterbende Menschen. Hinzu kommt die Trauerbegleitung für Hinterbliebende als logische Folge der Begleitung Sterbender. Hierfür bietet der Verein beispielsweise Einzelgespräche an, aber auch offene Trauertreffs oder geschlossene Gruppen.
Im Mai 2010 initiieren Vereinsvorstand und Mitgliederversammlung das Projekt »Hospiz in Gießen«, die Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen gGmbH und der Verein für Kranken-, Alten- und Kinderpflege zu Gießen schließen sich als weitere Gesellschafter an. Im März 2014 feiert das »Haus Samaria« Eröffnung. Das Gebäude in der Paul-Zipp-Straße bietet Platz für bis zu zehn Gäste.
Mit der Hospiz-Eröffnung steigt auch die Bekanntheit des Vereins. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Schulungen der angehenden Hospizbegleiter: »Früher war es schwer, die Schulungen voll zu bekommen«, erinnert sich Koordinatorin Lücke-Schmidt. Heute ist der jährlich stattfindende Kurs dagegen schon Monate vor dem Start ausgebucht, aus den anfangs sechs Plätzen pro Lehrgang wurden 14.
Neben der eigentlichen Arbeit wählt der Verein jährlich ein besonderes Thema aus. 2021 war es die »Häusliche Begleitung«, in diesem Jahr ist es das »Junge Ehrenamt in der Hospizarbeit«. Früher hätten vor allem Ältere diese gestemmt, sagt Erwin Kuhn. Doch mittlerweile gebe es einen erkennbaren Wandel.
Es sei wichtig, den Jüngeren zuzuhören und das Ehrenamt für sie attraktiv zu machen, betont der Vereinsvorsitzende: »Welche Ziele haben sie? Welche Erwartungen haben sie an uns?« Gleichzeitig könnten junge Menschen neues Wissen einbringen, neue Perspektiven eröffnen, aber auch jüngere Sterbende begleiten - schließlich sei »schwer krank« nicht gleichbedeutend mit »alt«. Außerdem müsse sich die Hospizarbeit an die Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. »Wir brauchen Schubkraft - und die haben junge Menschen.«
