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Da Vinci hat am UKGM nichts mit Malerei zu tun

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Roboter, die Chirurgen dabei helfen, Leben zu retten, sind am Uniklinikum Gießen keine Science-Fiction, sondern bereits seit 2019 Realität. Die Bevölkerung kann die Technik nun ebenfalls testen.

Gießen . Für manche mag es noch immer wie Science-Fiction aus einer fernen Zukunft klingen: Roboter, die bei Operationen im menschlichen Körper zum Einsatz kommen und dem Chirurgen dabei helfen, Leben zu retten. Am Gießener Uniklinikum (UKGM) hat diese Zukunft bereits 2019 begonnen. Seitdem werden Patienten mit dem Da-Vinci-Operationssystem behandelt, das Fachärzte der Kliniken für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Urologie und Gynäkologie für verschiedenste Eingriffe verwenden. Am kommenden Samstag, 16. Juli, hat die Bevölkerung die seltene Gelegenheit, diese hochmoderne OP-Technik nicht nur in Augenschein zu nehmen, sondern an einem Simulator, den auch Ärzte und Studierende zum Training nutzen, einmal selbst auszuprobieren; natürlich nur an einem virtuellen Patienten. Schon am morgigen Mittwoch, 13. Juli, sind niedergelassene Ärzte hierzu eingeladen.

Master und Slave

Der eigentliche OP-Roboter, der als eines von zwei Modulen mitsamt Technik rund 800 Kilogramm wiegt, verfügt über insgesamt vier Arme, die über vier jeweils nur acht Millimeter breite, vorher gelegte Öffnungen neben einer winzigen Kamera auch Instrumente wie Schere, Pinzette oder Klammerhalter in den Körper einführen. Wer nun Angst hat, dass dann ein vorher festgelegtes Programm automatisch abläuft und der Patient auf Gedeih und Verderb der Maschine ausgeliefert ist, den kann Prof. Winfried Padberg sofort beruhigen. Es handele sich nämlich hierbei um ein sogenanntes Master-Slave-System. Welche Bewegungen der Roboter auszuführen hat, »wird vom Chirurgen dirigiert, der fünf Meter davon entfernt an einem zweiten Modul sitzt«, beschreibt der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- Transplantations- und Kinderchirurgie die Situation im Operationssaal. Außerdem befinde sich einer der Assistenten direkt am Roboter, um gegebenenfalls OP-Instrumente an dessen Armen zu wechseln.

Auf einem Bildschirm, der laut Prof. Florian Wagenlehner »eine 3D-Sicht« bietet, hat der Chirurg das gesamte Operationsfeld im Körperinneren im Blick und kann die Kamera in alle Richtungen steuern, die er möchte. Jede der Handbewegungen des Operateurs werde im selben Bewegungsumfang auf die Roboterarme übersetzt, erläutert der Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie. Diese Bewegungen erfolgten »millimetergenau«, so Prof. Ivo Meinhold-Heerlein, der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist.

Die Genauigkeit des Geräts liegt auch daran, dass jeder der vier Roboterarme »bis zu sieben Bewegungsgrade hat. Bei der menschlichen Hand sind es nur drei«, macht Padberg deutlich. »Damit kommen wir an Stellen, die sonst nicht möglich wären.« Beispielsweise könne die Kamera so gedreht werden, »dass man auch von unten operieren kann«. Darüber hinaus werde der mit dem Roboter gekoppelte OP-Tisch über Sensoren gesteuert, um etwa auf Bewegungen des Patienten im Schlaf zu reagieren. Dieser wiederum bekommt nichts davon mit, was in ihm oder um ihn herum geschieht. »Die Patienten müssen tief relaxiert sein«, was vom Anästhesisten ständig zu überwachen ist, erklärt der Mediziner.

Als weiterer großer Vorteil ermöglicht die Kamera eine bis zu zehnfache Vergrößerung des Operationsfeldes und des umliegenden Gewebes. So können Details erkannt werden, die bei einer offenen Operation womöglich nicht auffallen. Vor allem aber wissen die Ärzte sehr zu schätzen, während des Eingriffs nun sitzen und nicht wie sonst ständig am Tisch stehen zu müssen. Bei häufig mehrere Stunden dauernden Operationen lasse es sich nicht vermeiden, auch mal »von einem Fuß auf den anderen treten zu müssen«, so Padberg. Ganz zu schweigen von der mit der Zeit unbequemer werdenden Körperhaltung im Stehen und über den OP-Tisch gebeugt. All das ermöglicht jetzt nicht nur ein für den Patienten schonenderes Operieren, sondern ist laut Meinhold-Heerlein auch »entspannter für den Chirurgen«, der natürlich auch mit Roboter-Unterstützung ständig aufmerksam bleiben muss.

Besonders gefragt ist die hochmoderne Technik unter anderem bei Prostatakrebs-OPs. So könne auf diese Weise »die komplette Prostata mitsamt Lymphknoten und Samenbläschen entfernt werden, unter Schonung des Samenleiters und Schließmuskels«, erläutert Wagenlehner. Dies geschehe bereits in mehr als 70 Prozent dieser Krebsfälle bei Männern. Zudem findet der Roboter in der Urologie bei Nieren- und Harnleiter-Ersatz-OPs Verwendung. In der Gynäkologie hingegen profitieren davon viele Frauen, die unter Endometriose leiden oder der Senkung des Beckenbodens nach einer Schwangerschaft, nennt Meinhold-Heerlein Einsatzgebiete des Roboters. »Allerdings nicht bei einer Bauchdecken-Straffung«, dämpft er sogleich entsprechende Erwartungen. Für zahlreiche »onkologische Indikationen« bei beiden Geschlechtern kommt das Ganze ebenfalls infrage. Padberg nennt hier als Beispiele für die Allgemeinchirurgie Enddarm- und Speiseröhrenkrebs. Wie auch die Adipositaschirurgie bei stark übergewichtigen Menschen: Nach dem Legen eines Magenbypasses »kann der Patienten bereits zwei Tage nach dem Eingriff die Klinik wieder verlassen, statt wie vorher erst am dritten Tag«, führt er einen weiteren Fortschritt an.

Bevor die drei überaus erfahrenen Chirurgen den OP-Roboter allerdings zum ersten Mal bei einem Patienten benutzen durften, mussten sie zunächst ein über 50-stündiges Training unter Anleitung am Simulator absolvieren. Um zum Abschluss »unseren Führerschein zu machen« und »bei den ersten 15 bis 20 OPs« noch einen Experten für dieses Robotermodell an der Seite zu haben, so Wagenlehner.

Zwei Millionen Euro

Das bei seiner Anschaffung rund zwei Millionen Euro teure Da-Vinci-Operationssystem, das auch drei Jahre nach seiner Inbetriebnahme noch das modernste seiner Art darstelle, kommt trotz der nicht unerheblichen Zusatzkosten keineswegs nur Privatpatienten oder finanziell besser betuchten Menschen zugute. Zudem sei es auch keine gesonderte Kassenleistung. »Die Mehrkosten tragen wir«, betonen die drei Klinikdirektoren. Sie suchen vorher aus, bei welchen ihrer Patienten die neue Technik am sinnvollsten eingesetzt werden kann. Natürlich muss dieser dann erst noch zustimmen. Dies tun aber mittlerweile so viele oder fragen extra vorher für einen derartigen Eingriff an, dass der OP-Roboter durch die drei Abteilungen praktisch von morgens bis abends ausgebucht ist. Daher wünscht man sich, dass möglichst bald ein zweiter angeschafft wird.

Der »Tag der offenen Tür« für die Bevölkerung beginnt am Samstag um 11 Uhr und dauert bis 14 Uhr. Ort ist das große Foyer der Neuen Chirurgie an der »blauen Kugel« in der Rudolf-Buchheim-Straße (bitte diesen Nebeneingang nutzen und nicht den Zentraleingang in der Klinikstraße). Parallel zur Vorstellung des OP-Roboters werden bei etwa halbstündigen Vorträgen von Fachärzten im benachbarten Hörsaal auch Videoaufnahmen operativer Eingriffe zu sehen sein. Interessierte können ohne Anmeldung kommen. Es ist eine FFP-2-Maske zu tragen und Abstand zu halten. Die Aktionen für niedergelassene Ärzte beginnen am Mittwoch um 16.30 Uhr und gehen bis 18.30 Uhr. Anmeldung hierfür bitte per E-Mail an Heike.Jansohn@uk-gm.de.

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