Dann platzt des Richters Kragen

Richter Johannes Nink wirft im Prozess gegen die Baumbesetzerin »Ella« der Verteidigung Prozessverschleppung vor. Dann hält die Staatsanwältin ihr Abschlussplädoyer.
Gießen. Lag es an der ungeplanten Unterbrechung seines Arbeitstages durch eine am Dienstag vor dem Gießener Landgericht platzierte Bombenattrappe (siehe Seite 19)? Lag es an den von Verhandlungstag zu Verhandlungstag giftigeren Sticheleien zwischen den beiden Verteidigerinnen und der Staatsanwältin? Gerade, als sich nach einer weiteren Fülle von Anträgen der Verteidigung im Berufungsverfahren gegen die Baumbesetzerin »Ella« aus dem Dannenröder Wald die meisten Prozessbeobachter auf weitere zähe Tage der Beweisfindung einrichteten, platzte dem Vorsitzenden Richter Johannes Nink endgültig der Kragen.
Kurz und knapp lehnte er alle Beweisanträge der Verteidigung ab, »da diese nicht zur Entlastung der Angeklagten beitragen und damit die Verschleppung des Verfahrens bezweckt wird«. Die hatte unter anderem noch einmal im Gerichtssaal den Film »Ella« vorführen lassen wollen, den Unterstützer der Aktivistin gedreht haben, und der seit Monaten im Internet frei verfügbar ist.
»Ohne Not Prozess verzögert«
Dann ließ Nink das ganze Berufungsverfahren aus seiner Sicht Revue passieren. So sei die Beweisaufnahme im Wesentlichen bereits abgeschlossen gewesen, bevor die Verteidigung einen neuen Antrag nach dem anderen vorgelegt habe. »Welche anderen Ziele die Verteidigung verfolgt, erschließt sich nicht. Das Verfahren wird jedoch verschleppt.«
Nink betonte, dass das Berufungsverfahren von Anfang an durch den Streit beim Wechsel der Verteidigung geprägt gewesen sei. So sei die neue Verteidigerin Waltraut Verleih dem Haftprüfungsantrag ihres Vorgängers Tronje Döhmer ausdrücklich entgegengetreten, weil dieser mit »Ella« nicht abgesprochen gewesen sei. Auch habe die Verteidigung den ursprünglich schon für den 6. Dezember vorgesehenen Beginn der Berufungsverhandlung ausgeschlagen, so dass das Verfahren erst am 17. Januar beginnen konnte. »Wenn die Verteidigung ohne Not den fünf Wochen späteren Prozessbeginn bevorzugt, dann will sie offenbar nicht ein schnelles Ende des Verfahrens«, sagte Nink. Die Beweisaufnahme sei damit aus Sicht der Kammer abgeschlossen. Dann forderte der Richter Staatsanwältin Mareen Fischer auf, ihr Plädoyer zu halten.
Die erklärte, die Taten der Angeklagten seien ein Angriff auf den Rechtsstaat und die, die ihn verteidigen. »Ella« habe einen der beiden als Zeugen vernommenen Polizisten durch einen potenziell lebensgefährlichen Tritt gegen den Kopf nicht unerhebliche Verletzungen zugefügt und dem anderen in 15 Meter Höhe ihr Knie ins Gesicht gerammt. Des Weiteren habe sie einen weiteren Beamten mit Urin übergossen. Auf den Polizeivideos sei zu erkennen, dass die Gewalt allein von der Angeklagten ausgegangen sei, die sich jetzt durch eine »bewusste und bösartige« Verzerrung als Opfer inszeniere. Dass die Beamten sich gegen die Angriffe der Angeklagten gewehrt hätten, sei deren gutes Recht gewesen. »Ellas« Versuche, sich als schutzloses Zufallsopfer staatlicher Gewalt darzustellen, seien dagegen »verstörend und schlichtweg unwahr«.
Subjektive Lebensgefahr
Es sei zwar richtig, dass die Zeugen ihre Aussagen teils mehr oder weniger stark abgeändert und Erinnerungslücken eingeräumt hätten. Ihnen diese Erinnerungslücken vorzuwerfen, sei nach anderthalb Jahren an Absurdität nicht zu überbieten. Den Kerngehalt ihrer Aussagen hätten sie dabei aber nicht revidiert. Auch könne sie kein Motiv für eine bewusste Falschaussage gegen die Angeklagte erkennen.
Eine konkrete Gefahr des Absturzes gab es für den SEK-Beamten zwar subjektiv, aber objektiv nicht. Daraus eine bewusste Falschaussage der Polizeibeamten zu konstruieren, gehe an der Wirklichkeit vorbei, so Fischer.
Könne man einem Zeugen vorwerfen, dass er sich mehr mit dem Schutz seines eigenen Lebens befasst habe, als mit einer zweiten Sicherung am Baum? »Diese Beamten sorgen jeden einzelnen Tag für die Aufrechterhaltung unseres Rechtsstaats«, betonte die Staatsanwältin.
Die Angeklagte habe sich dagegen sehenden Auges selbst in diese Situation gebracht, und dies aus einem einzigen Grund, den Kampf gegen das System und gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, die sie, wie sie selbst vor Gericht gesagte habe, ablehne.
»Klimaschutz ist kein Verbrechen«, so Fischer, »die Durchsetzung politischer Ziele durch brutale Gewalt die ihresgleichen sucht, schon.« Durch die habe sich die Angeklagte vom legitimen Protest meilenweit entfernt. Das ehrenwerte Ziel des Klimaschutzes sei bei ihr nur vorgeschoben. »Ellas« Angriff auf die Beamten sei nur erfolgt, weil sie dem Rechtsstaat den Krieg erklärt habe, so die Staatsanwältin. »Sie haben den Rechtsstaat im wahrsten Sinne des Wortes mit den Füßen getreten.«
Fischer sah wie schon beim ersten Prozess in Alsfeld vor einem Jahr den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einem gefährlichen Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen erfüllt.
Mit der Forderung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten für die Angeklagte blieb sie zwar unter ihrer eigenen Forderung aus dem ersten Verfahren in Alsfeld, aber noch über dem damals erfolgten Urteil.
Einen Antrag der Verteidigungauf einstündige Sitzungsunterbrechung, um nach diesem Plädoyer weitere Anträge zu beraten, lehnte Nick ab. Die könnte die Verteidigung auch schriftlich bis zum nächsten Verhandlungstag am 1. April stellen. Sollte sich die Verteidigung am kommenden Freitag zu ihrem Schlussplädoyer durchringen, könnte dann das Urteil gesprochen werden. Möglich wäre bis dahin aber auch ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter, Das wäre dann der dritte. Die ersten beiden waren abgelehnt worden.