Das All braucht eine Müllabfuhr

ESA-Forscher an THM in Gießen zu Gast: Weltraumschrott gefährdet zukünftige Nutzung
Gießen . Wer im Stadtpark in der Wieseckaue picknickt, der nimmt seine Abfälle entweder mit oder entsorgt sie vor Ort in einem Mülleimer - so sieht es zumindest die Benutzungsordnung vor. Müllvermeidung und Müllbeseitigung wird auch in der Raumfahrt ein immer drängenderes Thema, ein internationales Weltraumschrott-Gesetz gibt es jedoch nicht. Zu welchen Problemen das führt, verdeutlichte Dr. Tim Flohrer, Leiter des »Space Debris Office« der Europäischen Weltraum-Agentur ESA, nun bei einem Vortrag an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Man müsse »die Ressource Orbit in einem Zustand übergeben, dass sie von nachfolgenden Generationen genutzt werden kann«, mahnte der Experte.
Ausweichmanöver sind Alltag
Während ein Ausweichmanöver für die zuständigen Mitarbeiter vor rund 20 Jahren noch »eine spannende Sache« gewesen sei, müsse die ESA nun ein- bis zweimal pro Woche einen Satelliten umlenken, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Eine Rufbereitschaft sei rund um die Uhr im Einsatz. Hintergrund sei die »drastische Änderung der Nutzung des Weltraums« und die damit einhergehende Zunahme von Weltraumschrott.
Im vergangenen Jahr wurden erstmals über 2000 Satelliten ins All geschossen. Mit jedem Raketenstart lande auch Müll im All, sagte Tim Flohrer. Hinzu kämen Verbrennungsrückstände, sich ablösende Oberflächen oder auch Schrott durch Kollisionen. Wie viele Objekte genau im All unterwegs sind, ist nicht bekannt. Die ESA geht von 36 000 Objekten aus, die größer sind als zehn Zentimeter. Hinzu kommen eine Million Trümmerstücke zwischen einem und zehn Zentimetern sowie 130 Millionen Teile, die größer als ein Millimeter, aber kleiner als ein Zentimeter sind.
Selbst kleine Schrottteile könnten zu einer Verschlechterung der Leistung der Satelliten führen, aber auch die komplette Zerstörung sei möglich. Dem Müll auszuweichen, werde für die Satellitenbetreiber immer kostspieliger, die Gewährleistung der Betriebssicherheit sei somit ein signifikantes Kostenrisiko. Wie auch auf der Erde seien die Bereiche, die rege genutzt werden, auch am stärksten vermüllt.
Kollisionen zwischen zwei Satelliten seien jedoch selten, in der Regel gebe es Zusammenstöße mit Fragmenten. Im Februar 2009 jedoch ereignete sich die erste Satellitenkollision in der Erdumlaufbahn - und sorgte für weiteren Weltraummüll. »Die Fragmente finden wir immer noch im Orbit«, betonte Tim Flohrer, der nach der Satellitenkollision 2009 seinen Urlaub abgebrochen hatte. Ein solches Ereignis habe Konsequenzen für alle Nutzer im Weltraum. »Das ist so, als ob sie zu Fuß versuchen, auf einer vielbefahrenen Straße dem Verkehr auszuweichen.«
»Kostspielige« Fehler aus der Vergangenheit
Aber nicht nur die steigende Zahl an Satelliten ist ein Problem: Es könne bis zu 50 Jahre dauern, bis die alten Raumflugkörper fragmentieren. »Die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren ist sehr kostspielig.« Um zu verhindern, dass immer mehr Müll im All umher schwebt, reiche es daher nicht, künftige Missionen so zu planen, dass kein Schrott entsteht. »Wir müssen aktiv Objekte herausnehmen und den Orbit als eine begrenzte Ressource ansehen.« Den Müll im All will die ESA mit Hilfe von Start-ups beseitigen lassen.
Prof. Guido Bartsch stellte im Anschluss das THM-Forschungsprojekt MASSATS vor, das Konzepte für künftige Systeme zur Weltraumüberwachung untersucht.