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Das Leben begleiten

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Hilfe in alltäglichen Situationen und damit Entlastung für die Familien bieten die Mitarbeiter des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes. Symbolfoto: dpa © Red

Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst bietet Entlastung und Beistand.

Gießen. »Wir begleiten das Leben. Der Tod spielt bei uns keine größere Rolle als anderswo«, so beschreibt die Koordinatorin Minke Bach die Arbeit des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensts Gießen.

Die Assoziation bei Nennung der Bezeichnung »Hospiz« ist jedoch meistens eine andere und zugleich eine eher negative. Viele denken dabei an Leiden, Sterben und Tod. Doch die eigentliche Bedeutung des Begriffs ist weitreichender: Er leitet sich vom lateinischen hospitium ab, dass nichts anderes bedeutet als »Herberge« und »Gastfreundschaft«. Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Gießen sieht seine Arbeit daher auch eher in dem Bereich der Freundschaft, der Verbundenheit und der Hilfe bei alltäglichen Dingen angesiedelt.

»Wir erleben immer, dass die Menschen meinen, dass wir uns um sterbende Kinder in ihrer letzten Lebensphase kümmern. Das ist so nicht korrekt. Wir begleiten Kinder und Jugendliche sowie deren Familie, bei denen eine lebensverkürzende Erkrankung festgestellt wurde«, erläutert Bach.

»Wir können die Familien ab dem Tag der Diagnose begleiten«. Diese Betreuung wird von ehrenamtlichen Helfern geleistet und das oft über Jahre. Sie gehen durchschnittlich einmal in der Woche zu der Familie, um sie zu entlasten. Idealerweise wird eine Familie von einem Tandem begleitet. So können beispielsweise das erkrankte und ein gesundes Geschwisterkind von einer Begleitung profitieren.

Lea Lahl und Janina Bietz sind ein solches Duo. Sie gehören zu den rund 30 Ehrenamtlichen des Vereins, die gemeinsam eine Familie begleiten. Neben dem erkrankten Mädchen, dass im Rollstuhl sitzt, gibt es noch zwei weitere Kinder, eine jüngere Schwester und einen älteren Bruder. Die beiden Frauen haben sich aufgeteilt. Während Lahl die Ansprechperson für das erkrankte Kind ist, kümmert sich Bietz um die siebenjährige Schwester.

Der ältere Bruder ist 16 Jahre alt und benötigt keine die direkte Unterstützung mehr. »In einer solchen Familie muss automatisch mehr Rücksicht auf das erkrankte Kind genommen werden. Da kommen die Geschwister oft zu kurz«. So auch bei dieser Familie. Das zwölfjährige Mädchen sitzt im Rollstuhl, ihr Bewegungsradius ist eingeschränkt. Viel mehr wissen sie nicht über ihre Beeinträchtigung. Das ist auch nicht nötig, um so unvoreingenommener kamen sie zu der Familie. Die gesunde siebenjährige Schwester konnte in der Vergangenheit oft nicht so viel draußen toben, wie sie wollte und auch gut für sie wäre. Seitdem Janina und Lea in der Familie sind, können beide Schwestern entsprechend ihrer Bedürfnisse und Fähigkeiten unterstützt werden. Und immer wieder machen sie trotzdem alle etwas zusammen. So kommt jedes Kind zu seinem Recht und gleichzeitig wird die alleinerziehende Mutter entlastet. Ein Gewinn für alle.

Im Durchschnitt verbringen die Helferinnen rund zwei bis drei Stunden pro Woche in ihrer Familie. Doch wie, wann und letztlich auch wieviel Zeit sie dort verbringen, das liegt in der Gestaltungsfreiheit einer jeden einzelnen. »Wir verschenken unser höchstes Gut, unsere Zeit. Wir begleiten das Leben mit all« seinen Höhen und Tiefen«, erläutert Bach. Auch Krisen, an deren Ende der Tod eines erkrankten Kindes stehen kann, gehören dazu. Um mit derart kritischen Situationen umgehen zu können, absolvieren alle neuen Ehrenamtlichen vor ihrem ersten Einsatz einen Qualifizierungskurs.

2021 gehörten Bietz und Lahl zu den Kursteilnehmern. »Ich wollte etwas Sinnvolles mit Kindern machen«, erzählt Bietz über ihre Motivation und ergänzt, dass dies ein kreativer Ausgleich für ihre Bürotätigkeit sei. Lahl war zufällig auf den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst gestoßen und fand die Arbeit einfach interessant. Als Mutter von zwei Kindern weiß sie, wie gut eine solche Entlastung der gesamten Familie tut. Anfangs hätten sich beide viel zu viele Gedanken gemacht, was man machen sollte.

»Wir haben uns regelrecht ein Programm ausgedacht. Irgendwann haben wir gemerkt, dass es nicht nötig ist. Wichtig ist, dass man dem Kind Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Der Rest kommt von allein«, meinten beide übereinstimmend. »Ich bin noch nie mit einem schlechten Gefühl von dort weg gegangen«, sagt Bietz und Lahl ergänzt: »Diese Beschäftigung holt einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Das erdet, egal wie stressig der normale Berufsalltag vorher war« .

Einmal im Monat treffen sich alle in der Geschäftsstelle in Wieseck, Wingert 18, um sich auszutauschen. Zurzeit bereut der Verein 21 Familien, weitere Familien stehen auf der Warteliste. Das Einzugsgebiet des Vereins sind rund 50 Kilometer. Gerade in Richtung Friedberg und in der Wetterau sind einige Familie noch nicht versorgt. »Wir würden uns über weitere Ehrenamtliche sehr freuen. Einzige Voraussetzungen dafür sind: Zeit mitbringen und Mut haben, sich auf etwas Neues einzulassen«.

Im Februar startet ein neuer Kurs, bei dem noch Plätze frei sind. Der Kurs umfasst 80 Stunden und dauert bis Ende Juni. Themen darin sind unter anderem »Nähe und Distanz« und »Trauer als menschliche Erfahrung.

Weitere Informationen sind zu finden unter: www.akhd-giessen.de.

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