»Das Leid der Opfer beenden«

Verbrechen gegen Kinder treffen die Schwächsten in der Gesellschaft. In Gießen ermitteln Kai Aust und Kollegen gegen die Täter.
Gießen. Verbrechen gegen Kinder gehören zu jenen Straftaten, auf die die Öffentlichkeit in der Regel besonders emotional reagiert. Grundsätzlich ist Kriminalhauptkommissar Kai Aust keine Ausnahme. »Es gab für mich mental herausfordernde und geradezu harte Ermittlungsverfahren. Aber ich konnte immer objektiv und sachlich bleiben. Wenn das nicht der Fall wäre, würde ich hier nicht mehr arbeiten«, sagt der Leiter des Kommissariats 12 (K 12) »Sexualdelikte«. Seit mehr als zwei Jahren trägt er auch Verantwortung im mittelhessischen Regionalabschnitt bei der »BAO Fokus«. Dabei handelt es sich um eine besondere Aufbauorganisation, die »im Prinzip gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch ermittelt«. Angegliedert beim Hessischen Landeskriminalamt, sind die sieben hessischen Polizeipräsidien für die Arbeit der BAO vor Ort zuständig.
Kein bestimmter Tätertyp
Das Fallaufkommen ist erheblich. Seit Bestehen der »BAO Fokus« wurden über 3800 Durchsuchungen durchgeführt, 56 Haftbefehle vollstreckt und mehr als 58 000 Datenträger wie PCs und Notebooks, externe Speichergeräte, Spielekonsolen, CDs und DVDs sowie mobile Endgeräte sichergestellt. Zudem erfolgten bei mehr als 1500 Beschuldigten erkennungsdienstliche Maßnahmen und über 1000 Beschuldigte wurden unmittelbar nach der Durchsuchung vernommen, informiert das Ministerium. Den Beschuldigten würden insbesondere sexueller Missbrauch von Kindern oder Erwerb und Besitz von Kinder- und Jugendpornografie vorgeworfen.
Auf einen bestimmten Verbrechertyp stoßen die Beamten bei ihrer Arbeit allerdings nicht. »Man kann nicht pauschal sagen: Es ist der klassische Täter, wie man ihn sich vorstellt und er im Fernsehen vielleicht dargestellt wird«, erklärt Aust. Das mache die Arbeit besonders schwierig. »Wir können nicht sagen, dass ein pädophil orientierter Täter oder eine Person, die Interesse an Kindern hat, so und so aussieht und sich so und so verhält. Das kann der nette Nachbar von nebenan sein. Das kann jeder sein. Wir hatten schon Täter aus fast allen Berufsgruppen, Bevölkerungsschichten und Altersklassen«, berichtet der Kommissariatsleiter. Natürlich hätten die Beamten durch die jahrelange Arbeit ein »gewisses Bauchgefühl«. Aust: »Es ist interessant: Man kann die Gründe nicht genau festmachen. Aber oftmals liegen die langjährigen Ermittler richtig.« Wenn eine Ermittlerin zu ihm sage, dass sie in einem Fall ein ungutes Gefühl habe, dann »gehen wir konzentriert dran. Die Mitarbeiterin entbinde ich dann von anderen Aufgaben«.
Nach Klärung solcher Fälle seien die Polizisten natürlich geschafft, aber meist auch sehr motiviert und zufrieden. Die Voraussetzung für die Arbeit ist Freiwilligkeit: »Das Tätigkeitsfeld, mit dem wir es zu tun haben, betrifft mit den Kindern die Schwächsten in der Gesellschaft. Das erfordert, dass wir mit höchstem Maß an Engagement an unsere Aufgaben gehen. Das funktioniert selbstverständlich nur mit Mitarbeitern, die hier sein wollen«, betont der Hauptkommissar.
Teamgespräche und Supervision
Neben einem gesunden privaten Umfeld sei der kollegiale Verbund nicht zu unterschätzen, um mit diesen schwierigen Fällen fertig zu werden. Wenn herausragend belastbare Dinge passierten, dann unterhalte sich das gesamte Team darüber. »Aber wir haben auch die Möglichkeit der Supervision. Wir nutzen in einem gewissen Turnus Einzel- und Gruppensupervision, um den mentalen Druck bearbeiten zu können.«
Bei der »BAO Fokus« sehe man tagtäglich schreckliche Dinge. Das liege aber generell in der Natur des Polizeiberufs und gelte etwa auch für den Schutzpolizisten, der einen Verkehrsunfall aufnimmt, oder für Kollegen, die bei Tötungsdelikten ermittelten und den Angehörigen die Todesnachrichten überbringen müssten. »Wir hier können oft das Leid der Opfer beenden. Das ist positiv. Missbrauchshandlungen über einen langen Zeitraum - nicht selten über Jahre - enden durch unsere Arbeit. Auch das motiviert natürlich.« Nur um Strafverfolgung geht es allerdings nicht. Die Gefahrenabwehr habe ganz klar Vorrang. »Wir werden beiden Aufgaben gerecht und gehen zielgerichtet vor.«
Wann sollte ein Erwachsener wegen möglichen Missbrauchs hellhörig werden? Das könne man so pauschal nicht sagen. Die Polizei nehme aber Meldungen aus der Bevölkerung sehr ernst. »Das bedeutet: Wenn uns jemand sagt, dass ihr oder ihm etwas komisch vorkommt, er oder sie aber keinen direkten Hinweis auf eine Straftat hat, dann kann er oder sie jederzeit im K12 oder bei der »BAO Fokus« anrufen. Die Sache wird dann aktenkundig und wir gehen ihr nach. Jeder Hinweis wird geprüft.« Wichtig sei, verdächtige Personen aus der Anonymität zu holen, selbst wenn sie sich noch nicht strafbar gemacht hätten. »Jeder kennt das Beispiel der Person im Park, die Kindern Bonbons schenkt. Das hat möglicherweise einen völlig harmlosen Hintergrund. Aber diese Person wird von uns angesprochen, ihr wird klargemacht, dass die Polizei wachsam ist und dass das Verschenken von Süßigkeiten an fremde Kinder dazu führt, dass die Polizei genauer hinsieht. Je nach Situation und Fall kann es auch zu einer Gefährderansprache gegenüber der Person kommen. Man muss sich darüber im Klaren sein: Schon zu einem Kind zu sagen ›Komm‹ mal mit‹ ist eine versuchte Entziehung.«
Ermittlungsansätze aus den USA
Die Arbeit der zuständigen Kollegen am Polizeipräsidium Mittelhessen, das einen Regionalabschnitt der BAO bildet, geht weit über solche lokalen Fälle hinaus. »Die Vernetzung zu anderen Behörden ist extrem wichtig. Wir arbeiten eng mit Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und anderen Bundesländern zusammen. Unsere Aufgaben enden natürlich nicht an einer Ländergrenze. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Täter in Nordrhein-Westfalen wohnt und hier arbeitet. Natürlich erhalten wir auch Ermittlungsansätze aus dem Ausland, insbesondere den USA.«
Auch auf lokaler Ebene sei die Arbeit mit einem Netzwerk unter anderem aus Jugendämtern, Staatsanwaltschaften und Opferhilfeeinrichtungen extrem wichtig. Denn »nicht in jedem Fall kommt jemand zur Polizei und bringt einen Hinweis«. Im Zentrum stehe auch bei Delikten im Bereich der Kinderpornografie immer der konkrete Missbrauch. »Wenn ich Aussagen höre wie ›Es ist doch nur ein kinderpornografisches Bild‹, dann ist meine Antwort glasklar: Wenn ein solches Bild gefertigt wird, dann setzt das einen sexuellen Missbrauch voraus. Und jedes Bild fördert wiederum die Nachfrage, was zu weiterem Missbrauch führt.«