»Das wird schon wieder« hilft nicht

»Achten Sie auf Ihre Gesundheit und handeln Sie danach« ist ein Expertentipp, um mental gesund zu bleiben. Vier Vorträge gab es zum Thema in Gießen.
Gießen. Wer Seelenschmerzen leidet, eine depressive Phase durchmacht oder unter einer psychischen Erkrankung leidet, hat oft Hemmungen darüber zu reden. Redet er darüber, wird er von der Gesellschaft oft ausgegrenzt. Hemmschwelle und Stigmatisierung kommen also zu den psychischen Leiden noch hinzu. Um Betroffenen zu helfen, wurde beim Drehgeber-Unternehmen Johannes Hübner eine Veranstaltung abgehalten, die sich mit dieser Thematik beschäftigte. Christoph Seipp, Unternehmenscoach und Vizepräsident von Round Table Gießen, moderierte und hielt den ersten von vier Vorträgen.
Seipp sagte, dass es der International Service Club Round Table zur Aufgabe habe, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen und Charity-Projekte zu fördern. Ein Ehrenamt sei für diejenigen wichtig, die die Welt ein bisschen besser machen wollten. Doch nur, wer im Ehrenamt gesund bleibe, könne auch für die Gesellschaft weiterhin einen Dienst leisten. Zu kurz komme immer wieder das »Danke sagen!« und Anerkennung zeigen!«
Seipp referierte zu den beiden Themen: »Was ist mit uns los?« und »Was ist mit mir los?« Jährlich seien 27,8 Prozent der Menschen in Deutschland von einer Depression betroffen. »Das sind mehr als ein Viertel von uns.« Diese Menschen seien einsam, fühlten sich allein gelassen und wüssten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Wie gehe man als Betroffener damit um? Vor 20 Jahren sei es ihm selbst so ergangen. »Ich bin müde«, sei oft seine Antwort auf allgemeine Fragen gewesen. »Warst du saufen oder hast du nicht gut geschlafen«, so meist die Reaktion des anderen. Geholfen habe ihm, »anzuerkennen, was es ist und das Leid ernst zu nehmen.« Über seinen Hausarzt habe er sich professionelle Hilfe geholt, doch aus Scham die Psychotherapie in einer anderen Stadt gemacht. Irgendwann habe er dann die eigene Not zur Tugend gemacht und sich gefragt: »Was hilft mir?« Für ihn sei es die Nähe zu und die Zeit mit anderen. »Dafür ist das Ehrenamt gut geeignet.«
Über mentale Gesundheit und Grenzen sprach Elena Hitzel, Psychologische Psychotherapeutin auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie. »Was kann ich tun, um mental gesund zu bleiben?« fragten sich viele. Zwei Dinge gab sie mit auf den Weg: »Achten Sie auf Ihre Grenzen!« und »Handeln Sie danach!« Das beträfe insbesondere diejenigen mit der Überzeugung: »Ich kann nicht Nein sagen.« Und »Irgendeiner muss es doch machen.«
Man solle einmal innehalten und sich die Frage stellen: »Wie geht es mir gerade?« Selbstreflexion lasse Warnsignale erkennen: Schlafprobleme, Magen-Darm-Trakt, Herz-Kreislauf, muskuläre Symptome, ständiges Grübeln, nicht abschalten können. Eine der Strategien zum Abgrenzen seien tatsächlich das »Nein! sagen«.
Man müsse sich dabei nicht rechtfertigen. Wenn man wolle, könne man es erklären. Oder auch nicht. Weitere Strategien seien das Ausschalten von technischen Begleitern, um nicht immer erreichbar zu sein, weniger Social-Media-Konsum und das Ausschalten von Push-Nachrichten. Auch solle man Abstand zu Konflikten und Problemen halten: »Mitfühlen, ohne mitzuleiden.« Regelmäßige Pausen, auch wenn noch so kurz, seien wichtig. Das schlechte Gewissen gegenüber anderen sei nur ein Gefühl, wenn auch ein unangenehmes. »Achten Sie auf Ihre Grenzen! Kümmern Sie sich um sich!«, so Hitzels abschließender Rat.
Constantin Ross und Christoph Dietz sind beide Physiotherapeuten und mentale Ersthelfer. Ross sprach über mentale Gesundheit und den Körper. Psychosomatik sei das Zusammenspiel von somatischen (körperlichen) Störungen und der Psyche. »Es schlägt mir auf den Magen« und »Ich kann das nicht mehr hören« seien typische Aussprüche, die auf einen psychischen Hintergrund schließen lassen.
Nackenschmerzen könnten körperlich oder psychisch bedingt sein. Man solle die Signale des Körpers ernstnehmen, wenn er sich melde. »Denkt selbst darüber nach statt zu googeln!«, so sein Ratschlag.
Über den Umgang mit Betroffenen sprach Dietz. Was kann man machen, wenn sich mir jemand öffnet? Sprüche wie »Kopf hoch! oder »Das wird schon wieder!« helfen da nicht. Was wirklich helfe, sei miteinander zu reden und genau zuzuhören. »Wie fühlst du dich?« sei eine gute Frage. Den anderen ausreden lassen und ihm signalisieren, dass man für ihn da ist, wäre hilfreich. Wird man abgeblockt, sei nachhaken angezeigt: »Geht es dir wirklich gut?« Man müsse zeigen, dass man den Gesprächspartner ernst nimmt und ein Ohr für alles hat, was er sagen möchte.
Mentale Gesundheit sei immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Stigmatisierung könne nur überwunden werden, indem man das Thema offen und reflektiert angeht und einen Betroffenen nicht verurteilt, der über seine Gefühle redet oder von einer psychischen Erkrankung erfasst ist.
Es gibt eine Ausbildung zum mentalen Ersthelfer (Mental Health First Aid, mhfa). Hier werden Fragen beantwortet, wie: Wie gehe ich mit einer psychischen Erkrankung um? Wie erkenne ich sie? Welche Fragen darf ich stellen?
Weitere Informationen unter www.mhfa-ersthelfer.de.
www.bundesaerztekammer.de/arztsuche (Bundesland anklicken, danach automatische Weiterleitung auf die Seite zur Arzt-/Therapeutensuche)
Stiftung Deutsche Depressionshilfe www.deutsche-depressionshilfe.de - 0341/ 22 387 40
Nummer gegen Kummer www.nummergegenkummer. Kinder und Jugendliche 116 111, für Eltern 0800/1110 550
Telefonseelsorge www.telefonseelsorge.de 0800/ 111 0 111 und 0800/ 111 0 222
Aktionsbündnis seelische Gesundheit www.seelischegesundheit.net 030/ 2757 6607
www.round-table.de Round Table Lebensfreunde für Mentale Gesundheit
www.THXCRN.de Kostenloses E-Book mit vielen Übungen.