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Das Ziel: Stromsperren vermeiden

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Von: Benjamin Lemper

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Die steigenden Energiekosten können schnell in die Schuldenfalle führen. Symbolfoto: dpa © Red

Der Magistrat der Stadt Gießen will ab 2023 einen Härtefallfonds einrichten und mit jährlich 120 000 Euro ausstatten. So soll auch Energieschulden begegnet werden.

Gießen. Gerade erst haben die Stadtwerke Gießen (SWG) eine saftige Erhöhung des Strompreises zum 1. Januar angekündigt - ein Plus von 53 Prozent. Das zusätzlich zu stemmen, ist auch für Durchschnittsverdiener eine Herausforderung. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen und jene, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, bedeuten die ständig steigenden Kosten für Energie und den Lebensunterhalt aber eine enorme, kaum tragbare Belastung. Zumal zum Beispiel Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) Strom aus dem verfügbaren Regelsatz selbst bezahlen müssen. Angesichts oft veralteter, Strom fressender Elektrogeräte oder vorhandener elektrischer Warmwasserbereitung kann da schnell viel schieflaufen. Zu befürchten sind »nicht selten [...] Verschuldungssituationen, Energiearmut und existenzielle Nöte«, heißt es in einem aktuellen, von dem ehrenamtlichen Sozialdezernenten Francesco Arman verantworteten Antrag des Magistrats, der hier gegensteuern möchte und über den die Stadtverordneten in der kommenden Sitzungsrunde abstimmen sollen.

Um Stromsperren bei Energieschulden zu vermeiden, möchte die Stadt Gießen in den Haushaltsjahren 2023 bis 2026 einen Härtefallfonds einrichten, der mit jährlich 120 000 Euro ausgestattet würde. Nach zwei Jahren erfolgt eine Evaluation, die als Grundlage für eine Fortschreibung dienen soll. Im Koalitionsvertrag hatten Grüne, SPD und Gießener Linke eine solche Initiative bereits vereinbart, aber noch nicht konkretisiert.

»Runder Tisch«

Abgerufen werden können die Mittel aus dem Härtefallfonds von privaten Haushalten, »die aufgrund ausstehender Zahlungen von einer Stromsperre bedroht oder betroffen sind«. Voraussetzung ist, dass die gesetzlich vorgegebenen Möglichkeiten der Sozialleistungsträger Jobcenter und Sozialamt ausgeschöpft sind, insbesondere die Gewährung eines Darlehens. Eine Zuwendung kann nur einmalig beantragt werden, ein Rechtsanspruch existiert nicht. Die Entscheidung über die Vergabe der Gelder soll eine noch einzurichtende Kommission treffen. Nach welchen Kriterien und in welchem Modus dies geschieht, legt der Magistrat in einer Richtlinie fest. Darin werden auch weitere Details wie etwa die maximale Höhe der Unterstützung, der Verfahrensweg bei der Antragstellung und der Kreis der antragaufnehmenden Einrichtungen geregelt. Angestrebt wird, zu erwartende Stromsperren für eine Frist von zwei bis vier Wochen auszusetzen, »um eine Klärung herbeizuführen«.

Der Härtefallfonds ist Teil eines Konzepts, dessen zentrales Element die Zusammenarbeit verschiedener Akteure am »Runden Tisch Energiearmut« sei. In dem im Februar gegründeten Gremium sind unter der Regie von Stadträtin Astrid Eibelshäuser und Francesco Arman neben dem Amt für soziale Angelegenheiten, dem Büro für Integration, dem Büro für Frauen und Gleichberechtigung und der Stabstelle Soziale Stadterneuerung auch die SWG, Sozialamt und Jobcenter, die Verbraucherzentrale, die Schuldnerberatungsstellen, Mitarbeiter aus Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement, Caritas-Sozialberatung, Arbeitsloseninitiative, »Aktino« und die Wohnungsgesellschaften vertreten.

Energieberatung

Deren Ziel ist es, mittels geeigneter Informationsformate betroffene Haushalte schnell und zuverlässig zu erreichen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Dazu gehört zum einen, präventiv den Zugang zu einer Energieberatung zu erleichtern, damit eventuell noch ungenutzte Einsparpotenziale besser erkannt und idealerweise behoben werden können, erläutert Francesco Arman in der Antragsbegründung. Zum anderen soll auf eine Anfang 2022 in Kraft getretene bundesgesetzliche Regelung zur sogenannten »Abwendungsvereinbarung« aufmerksam gemacht werden. Wer von einer Stromsperre bedroht ist, hat demnach acht Tage Zeit, eine sechsmonatige Rückzahlungsvereinbarung zu unterzeichnen, die der Versorger verpflichtend anbieten muss. Gleichzeitig weist Francesco Arman aber auf ein anderes Problem hin: »Ratenzahlungen, die bislang ein geeignetes Instrument waren, werden zunehmend schwieriger umzusetzen, da bereits jetzt in vielen Haushalten keine finanziellen Puffer mehr vorhanden sind.« Es müssten also verschiedene Lebensbereiche »gegeneinander abgewogen und priorisiert werden«. Dadurch bestehe wiederum die Gefahr, dass sich Schulden verstetigen und sich seit Jahren beeinträchtigende Problemlagen »voraussichtlich potenzieren« werden. Zwar handele es sich dabei um ein »systemisches Phänomen«, das in erster Linie sozialpolitische Lösungen auf Bundesebene erfordere. Dennoch müssten ebenfalls auf kommunaler Ebene gute Strukturen geschaffen werden, um den »Notlagen nach Möglichkeit die Spitze zu nehmen«.

Eine positive Entwicklung skizziert Arman aber auch: So habe das Forderungsmanagement der SWG in den vergangenen Jahren »ein gutes Netzwerk mit einer funktionierenden Zusammenarbeit aufgebaut«. Auf diese Weise sei es gelungen, die Zahl der Stromsperren im Versorgungsgebiet der SWG von 1446 im Jahr 2013 auf 454 im Jahr 2021 zu reduzieren.

Auf der Tagesordnung des Ausschusses für Soziales, Wohnen und Integration am kommenden Mittwoch steht darüber hinaus ein Antrag der fraktionslosen Stadtverordneten Martina Lennartz, die sich ebenfalls für einen Härtefallfonds ausspricht, »damit keine Gießener Bürgerinnen und Bürger durch die stark erhöhten Preise eine Gas- und Stromsperre erleiden müssen«. Als Adressatenkreis nennt sie die circa 5000 Personen, die den Sozialtarif »Gießen Pass« erhalten, sowie weitere Geringverdiener und Alleinerziehende. Zur Finanzierung schlägt Lennartz vor, jene 2,5 Millionen Euro zu verwenden, die die SWG zuletzt als Dividende ihres Gewinns an die Stadt Gießen ausgeschüttet haben.

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