Den Komponisten ganz nahe kommen

Gießen (hgt). Zum dritten Mal gaben die Musiker von NeoBarock ihre Visitenkarte im Hermann-Levi-Saal ab. Das Ensemble war zu Gast beim Verein Gießener Meisterkonzerte, der gerne noch mehr Zuhörer zu diesem außergewöhnlichen Konzert begrüßt hätte.
Es traten auf Maren Ries (Violine, Barockvioline und -viola), Jan de Winne (Traversflöte), Wen-Chun-Lin (Barockvioline), Ariane Spiegel (Barockvioloncello) und Stanislav Gres (Cembalo), die am Ende des Konzertes den hochverdienten Applaus des dankbaren Publikums in Empfang nehmen konnten. Die vor 20 Jahren gegründete Formation hat sich auf die Fahne geschrieben, alte und neue Musik gleichermaßen mit dem entsprechenden Instrumentarium zu interpretieren. NeoBarock versucht nicht, das Publikum in die Barockzeit zu versetzen, sondern transportiert diese Musik ins Hier und Heute. Die zeitlose Relevanz der Kompositionen wird durch profunde Quellenkenntnis offenbart, um der Intention der Komponisten möglich nahe zu kommen. In seinen Konzertprogrammen präsentiert NeoBarock wiederentdeckte Raritäten oder lässt durch innovative Sichtweisen auf Standardwerke aufhorchen.
Wiederholt haben sich die Musiker mit Johann Sebastian Bach und dessen Umfeld beschäftigt oder auch vergessene Komponisten wieder in die Öffentlichkeit gerückt. Preußenkönig Friedrich II. wollte Bach (1685-1750) kennenlernen, der 1747 von Leipzig nach Potsdam reiste, um die 15 dort angehäuften Silbermannischen Hammerklaviere auszuprobieren. Dazu bat Bach den König um ein Thema und der Legende nach erfand Friedrich II. aus dem Stegreif das Königliche Thema, auf das Bach sogleich improvisierte.
Die spätere schriftliche Fixierung dieser Improvisation sowie ein Feuerwerk an kanonischen Ausarbeitungen widmete Bach als »Musikalisches Opfer« dem Preußenkönig. Doch die damit verbundene Hoffnung auf eine Anstellung am Hof blieb ihm verwehrt.
Auf Friedrichs Thema basiert auch die im Konzert zu Gehör gebrachte erste Violinsonate des koreanisch-deutschen Komponisten Isang Yun (1917-1995) aus dem Jahr 1976. Dieser zog 1960 nach Deutschland, beschäftigte sich mit der Zwölftontechnik und entwickelte seine Haupttontechnik, auf der auch das Königliche Thema basiert. Neben unterschiedlichen Kanons von Bach erklangen in Gießen auch Kompositionen des Tschechen Viktor Kalabis (1923-2006), der die Cembalistin Zuzana Ruzickova heiratete, für die er 1966 die ebenfalls zu Gehör gebrachten »Canon Inventions« schrieb. Sie war die erste Frau, die Bachs gesamte Cembalomusik einspielte.