Den letzten Käufer beißen die Hunde

In der Stadt Gießen kennen die Immobilienpreise auch in diesem Jahr nur eine Richtung, wie der aktuelle Grundstücksmarktbericht zeigt. Zudem bietet er Interessantes zur Entwicklung der Mieten.
Gießen. Die Nachfrage nach Immobilien im Gießener Stadtgebiet ist auch im vergangenen Jahr weit höher gewesen als das Angebot, darum sind auch die ohnehin schon hohen Preise auf breiter Front weiter gestiegen. So lautet das Fazit des Vorsitzenden des Gutachterausschusses für Immobilienwerte für den Bereich der Stadt Gießen, Horst-Friedhelm Skib. Er stellte nun den Grundstücksmarktbericht 2022 für Gießen vor - zum letzten Mal, denn Skib scheidet aus Altersgründen aus dem Gutachterausschuss aus.
Zwar ist die Anzahl der gehandelten Immobilien im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen - 801 Objekte wechselten 2021 den Eigentümer gegenüber 790 im Jahr 2019. Die Preise für die einzelnen Gebäude, Wohnungen oder Grundstücke sind indes weiter gestiegen. Mit der Erschließung und dem Verkauf der letzten großen Freiflächen im ehemaligen US-Depot dürfte das Angebot auch langfristig niedriger sein als der Bedarf. Das zeigt sich exemplarisch am Wohn- und Nutzflächenumsatz hinsichtlich Wohn- und Teileigentum. Der blieb im Vergleich zum Vorjahr mit 24 400 Quadratmetern unverändert, allerdings stieg der Geldumsatz von 78 Millionen Euro binnen Jahresfrist auf gut 89 Millionen Euro und damit um 14,5 Prozent.
Auch für unbebaute Grundstücke mussten Käufer 2021 deutlich tiefer in die Tasche greifen. »Bildeten im Jahr 2020 Kaufpreise über 600 Euro pro Quadratmeter keine Ausnahme mehr, so kletterten die Kaufpreise im Jahr 2021 nochmals auf über 800 Euro pro Quadratmeter«, erklärte Skib. Allerdings sei die Aussagekraft dieser Zahlen mit Vorsicht zu genießen, weil die Datenbasis sehr gering sei. Wurden 2021 noch 21 Wohnbauflächen verkauft, so sank diese Zahl im Vorjahr auf 13, inklusive Verwandtschaftsverkäufen. Ohne Verwandtschaftsverkäufe verblieben lediglich zehn Kauffälle. Diese geringe Anzahl lasse eine differenzierte Betrachtungsweise in Bezug auf die Mittelbildung von Kaufpreisen kaum noch zu. Unter Berücksichtigung aller wertbildenden Faktoren ergibt sich für den Gutachter eine allgemeine Wertsteigerung beim Wohnbauland von rund 18 Prozent für das Jahr 2021. Beim Bauland für gewerbliche Nutzung belaufe sich die Wertsteigerung auf knapp fünf Prozent.
Der Mittelpreis der 2021 gehandelten freistehenden Einfamilienhäuser lag mit rund 481 000 Euro 14 Prozent über dem Mittelpreis von 2020. Weiterhin sei zu beobachten gewesen, dass in den statistischen Bezirken Gießen Süd und Gießen Ost frei stehende Einfamilienhäuser in den letzten drei Jahren im Mittelwert wieder deutlich über 500 000 Euro gehandelt worden seien. In den übrigen statistischen Bezirken wurden frei stehende Einfamilienhäuser im Mittelwert zwischen 383 000 und 464 000 Euro verkauft. Bei Zweifamilienhäusern hielt sich der Preisanstieg mit sieben Prozent auf nunmehr durchschnittlich rund 470 000 Euro vergleichsweise in Grenzen.
Der Mittelpreis der 2021 gehandelten Reihenhäuser lag mit rund 335 000 Euro deutlich über dem Vorjahresniveau von 212 000 Euro. Mit lediglich drei Verkäufen in diesem Segment 2021 sei dieser Mittelpreis aber nur zurückhaltend zu bewerten. Der Mittelpreis für Doppelhaushälften bewegte sich 2021 bei 379 000 Euro und damit knapp acht Prozent über dem von 2020 mit 352 000 Euro.
Günstiger als Neubauten sind gemeinhin gebrauchte Immobilien, allerdings gleichen sich deren Preise derzeit an. Der Mittelpreis je Quadratmeter Wohnfläche lag im Erstverkauf 2021 mit 3974 Euro/m² etwa sieben Prozent über dem Wert von 2020. Beim Wiederverkauf der Wohnungen ist der Mittelpreis im Vergleich zum Vorjahr dagegen um rund elf Prozent auf 3140 Euro/m² gestiegen. Skibs Fazit: »In allen wesentlichen Marktsegmenten geht es aufwärts, und zwar deutlich.«
Schmerzgrenze bei Mieten erreicht?
Bei den in Gießen erhobenen Mieten ergab sich eine Spanne zwischen 4,50 und 17,70 Euro/m² für die Nettokaltmiete. Die Miethöhe sei dabei insbesondere von der Wohnungsgröße, der Lage und der Qualität des Gebäudes sowie der Ausstattung der Wohnung abhängig, sagte der Gutachter. Dabei sei die Miete beim Erstbezug merklich höher als bei einer schon einmal genutzten Wohnung. Die Mietpreissteigerung lag im vergangenen Jahr im Durchschnitt über alle Größen und Qualitäten hinweg bei rund 4,6 Prozent bei vergleichbaren Objekten.
In diese Auswertung seien nur Mieten aus den letzten drei Jahren eingeflossen, die auch tatsächlich vertraglich vereinbart wurden, betonte Skib. Der Höchstwert aus 2019 von 17,70 Euro/m² sei in der Folgezeit bis heute nicht mehr erreicht worden. Vielmehr scheine sich eine Obergrenze zwischen 14,50 und 15 Euro/m² für neue Ein-Zimmer-Appartements zu bilden.
Die Jahr für Jahr beschworene Gefahr einer Blasenbildung auf dem Immobilienmarkt sieht Skib in Gießen noch nicht. Langfristig drohe Käufern aber eine andere Gefahr: Für immer mehr Gebäude in Gießen stellt der Gutachter negative Liegenschaftszinssätze fest, das heißt, der Kaufpreis kann in der verbleibenden physikalischen Lebensdauer des Gebäudes durch Mieteinnahmen nicht mehr amortisiert werden. Das sei in Zeiten ständig steigender Preise noch kein Problem, solange sich immer noch ein neuer Käufer findet. Allerdings gelte auch hier am Ende die alte Weisheit: Den letzten (Käufer) beißen die Hunde. Seite 11