Den Schmerz in Worte fassen

Der Hospiz-Verein Gießen bietet Trauerbegleitung speziell für Männer an. Niemand soll mit seinem Verlust und Schmerz alleine bleiben. Helmut Stanzel kennt sich damit aus.
Gießen . Stirbt ein geliebter Mensch, hinterlässt er eine große Lücke. Von außen kommt Mitleid, aber vielleicht auch Unsicherheit und Hilflosigkeit - denn wer redet schon gerne über den Tod und die Trauer darüber? Der Hospiz-Verein Gießen schafft hier Abhilfe: Sieben geschulte Trauerbegleiter sorgen dafür, dass niemand mit seinem Verlust und dem Schmerz allein bleiben muss. Einer von ihnen ist Helmut Stanzel. Der 67-Jährige ist eine Besonderheit, denn Männer in der Trauerarbeit sind selten. Seit diesem Jahr bietet er über den Hospiz-Verein ehrenamtlich Einzelgespräche speziell für trauernde Männer an. »Männer sind oft unsicher und hilfsbedürftiger bei emotionalen Themen«, hat der Langgönser festgestellt. Von Mann zu Mann über den eigenen Verlust zu reden, könne einfacher sein, als andere Angebote zu nutzen, die die weiblich geprägte Trauerarbeit bereithält.
Helmut Stanzel kennt sich aus mit Verlust: Seine Ehefrau verstarb an Silvester 2015. Den Hospiz-Verein und seine Angebote kannte er damals noch nicht. Hilfe suchte er in Büchern, die Trauerbewältigung machte er mit sich selbst aus. »Ich habe für mich geklärt, dass es unwiderruflich ist und ich mein Leben ohne meine Frau gestalten muss.« Als er 2020 in den Ruhestand ging, suchte er nach einer neuen Aufgabe - und fand sie beim Hospiz-Verein.
Bereits 2018 hatte Helmut Stanzel eine einjährige Ausbildung zum Sterbebegleiter absolviert, später folgte die Ausbildung zum Trauerbegleiter. Eine gute Kombination, findet Marion Lücke-Schmidt, Koordinatorin und ebenfalls Trauerbegleiterin: »Die Arbeit unserer ehrenamtlichen Sterbebegleiter ist nicht mit dem Tod zu Ende.« Sie gehen zum Beispiel auf die Beerdigung, halten Kontakt zu den Hinterbliebenen. Nicht jeder Angehörige benötige anschließend einen entsprechend geschulten Gesprächspartner. Auch die Wiederaufnahme positiver Routinen wie der Gang in den Sportverein könne heilsam sein.
Für ein erstes Kennenlernen wählt Helmut Stanzel gerne einen neutralen Ort wie ein Café oder einen Park. Wie die Einzelbegleitung im Anschluss aussieht und wie oft man sich trifft, variiere von Trauerndem zu Trauerndem. Seine eigene Trauergeschichte verschweigt der Langgönser seinem Gegenüber dabei bewusst nicht, denn häufig werde dadurch die Akzeptanz größer.
Viel von sich preisgeben mussten er und seine Mitstreiter auch in der Ausbildung. Denn die lebt von Offenheit in den gemeinsamen Übungseinheiten, wo es etwa neben Gesprächsführung und Empathie auch um eigene Verlusterfahrungen ging.
Helmut Stanzel ist der einzige Mann unter den sieben Trauerbegleitern. Koordinatorin Marion Lücke-Schmidt ist froh, dass der Verein mit ihm das Angebot erweitern konnte - auch wenn bei der Suche nach dem passenden Ehrenamtler Sympathie wichtiger sei als das Geschlecht. Gerade von Männern werde erwartet, dass sie schnell wieder »funktionieren«, hat sie beobachtet. Arbeitgeber seien oft nicht gut auf trauernde Mitarbeiter vorbereitet. Und insbesondere älteren Männern falle es schwer, über ihre Gefühle zu sprechen, sie in Worte zu fassen. Hinzu kommt: Trauernde Frauen hätten meist ein größeres soziales Netzwerk um sich als betroffene Männer.
Ist die Arbeit mit Sterbenden und Trauernden belastend? Wenn er beispielsweise auf der Palliativstation im Einsatz ist, mache ihn das in dem Moment betroffen, »aber es verfolgt mich abends nicht«, sagt Helmut Stanzel. Unterstützung erhalten die Ehrenamtlichen auch durch die regelmäßige Supervision mit den Koordinatorinnen im Verein. Ohnehin sei nicht alles ernst oder traurig in seinem Ehrenamt: Wenn es passt, werde auch mal herzhaft gelacht oder über andere Themen geredet. »Trotz Trauer und Tod muss es Raum geben, damit man wieder zum Leben findet.« Und auch der Ehrenamtliche nimmt viel aus den Begleitungen mit: »Ich bekomme hier viel mehr positive Rückmeldungen als früher in meinem Beruf. Es freut mich, wenn ich einem anderen Menschen weitergeholfen haben. Das ist Lohn genug.«
Trauernde, die Interesse an einer Begleitung haben, können sich an den Hospiz-Verein wenden: telefonisch unter 0641/3012812 oder per E-Mail an info@hospiz-verein-giessen.de. Weitere Informationen zu den Angeboten sind im Internet unter www.hospiz-verein-giessen.de zu finden. Foto: Pfeiffer
