Den Seltersweg neu denken

Experten aus Gießen haben sich über die Zukunft des Selterswegs Gedanken gemacht, Ideen gesammelt und eine Positionierung erarbeitet. Ein wichtiger Begriff in diesem Kontext: »pulsierend«.
Gießen. Wie entwickelt sich der Seltersweg in den nächsten Jahren? Dem Zufall überlassen will das BID die Antwort darauf nicht. Eine Positionierung ist gefragt, und die hat Heinz-Jörg Ebert mit elf Mitstreitern aus Politik, Handel und Gesellschaft im »NeoHub« in Kassel erarbeitet. » Mich haben die Ergebnisse, die erzielte Klarheit und die Methodik so begeistert, dass ich mir wünschen würde, dass diese Klarheit auch für die gesamte Innenstadt - ja für ganz Gießen in dieser Form erarbeitet werden könnte. Gemeinsame Ziele und eine Idee, wo es hingeht, bringen Dynamik, Entschlossenheit und Kraft«, sagt Ebert.
Deutschlandweit gehört der Seltersweg zu den meist frequentierten Einkaufsstraßen in Städten unter 100 000 Einwohnern. Warum hat das BID jetzt an der Positionierung gearbeitet?
Innenstädte verändern sich derzeit rasend schnell. Verkehrswende, Digitalisierung, Veränderung des Kaufverhaltens, Transformation zur multifunktionalen Innenstadt sind in aller Munde. Auch ohne die vor kurzer Zeit noch nicht zu erahnenden Entwicklungen wie die Energieproblematik, Inflation oder den Krieg in der Ukraine galt es, die 17 Jahre alte Positionierung als »Boulevard der Marken« neu zu justieren. So steht es in unserem Maßnahmenkatalog für die vierte BID-Laufzeit, die im Januar begonnen hat.
Gibt es Ergebnisse?
So simpel es klingt - so arbeitsintensiv war es, den »Boulevard der Marken« in einem Wort zu beschreiben: »pulsierend«. In diesem Wort stecken so viele Gedanken und Diskussionen. Und doch ist es die Kernbotschaft für die Hauptschlagader der Innenstadt, die aus den wohlüberlegten Werten und Zielen heraussprudelte. Werte in der Zusammenarbeit wie Leidenschaft, Nachhaltigkeit und Wertschätzung sind die Basis für ihre Ziele.
Was sind die Ziele?
Das sind: eine zukunftsfähige Innenstadt gestalten, die Frequenz halten und erhöhen, Umsätze und Grundstückswerte erhalten, um stabil zu bleiben, und die Kraft, unsere Strategien auch umzusetzen. Insofern können wir versprechen: Gemeinsam mit allen Akteuren definieren wir die Zukunft des Selterswegs, indem wir das Erlebnis in der Innenstadt evolutionieren, um Menschen Orientierung und neue Impulse zu geben.
Gibt es schon konkrete Ideen, die Sie umsetzen möchten?
Es gibt sogar schon sehr konkrete Maßnahmen für die kommenden drei, sechs und zwölf Monate. Und darüber hinaus einen riesigen Ideenpool. Neben regelmäßigen Samstagsevents bis zur Begrünung des uns wohl noch eine Weile begleitenden H&M-Leerstandes als kurzfristige Maßnahmen ist der Fokus natürlich auf die Begleitung der Bebauung und Attraktivierung des Großprojektes Seltersweg 83/85 gerichtet. Im Rahmen der Verkehrswende unterstreichen wir unsere Bereitschaft zur Mitarbeit an Konzepten der Erreichbarkeit für das Umland, an der Fahrrad-, Service- und Infrastruktur sowie der Erlebnis- und Aufenthaltsqualität. Oder ein ganz anderes Vorhaben: Stellen Sie sich mal eine lange Frühstückstafel an einem schönen Sonntagmorgen vor. Für alle Mitarbeiter des Selterswegs und ihre Familien.
Sie haben das aber nicht im stillen Kämmerlein gemacht...?
Wir sind einer Empfehlung gefolgt und haben mit der Agentur »Bestes Pferd im Stall« in Kassel im wahrsten Sinne des Wortes auf ein Pferd gesetzt, das sich ausschließlich auf Positionierungen spezialisiert hat. Während wir in den Umsetzungen immer und begeistert mit regionalen Dienstleistern zusammenarbeiten, wollten wir in dieser Frage bewusst mal die heimischen vier Wände verlassen und uns in zwei anstrengenden Tagen in der außergewöhnlichen Atmosphäre des »NeoHubs« inspirieren lassen.
Wer hat mitgearbeitet?
Empfohlen war eine arbeitsfähige Gruppe mit maximal zwölf Personen. Neben Markus Pfeffer als BID-Geschäftsführer und natürlich auch BID-Vorständlern hatten wir mit Lothar Schmidt den Chef unseres innerstädtischen Karstadt/Galeria-Magneten dabei. Ebenso die Thalia-Filialleiterin Alexandra Herrmann, die mit ihrem Haus eine breite und generationenübergreifende Gruppe repräsentierte. Aber auch Vertreter inhabergeführter Geschäfte, Makler, Eigentümer, Investoren, Spezialisten, die ihre Doktorarbeit über BIDs geschrieben haben, und Seltersweg-Kunden waren dabei. Sehr gefreut hat mich die Teilnahme der Politik.
Welche Bedeutung hatte die Teilnahme von Politikern?
Man kann sich die tollsten Sachen erarbeiten, aber wenn man dies nicht im Schulterschluss mit Politik und Verwaltung entwickelt, brauchen wir über eine zielführende Umsetzung gar nicht nachzudenken. Wir arbeiten nun bereits von Beginn der BIDs an so zusammen und werden in anderen Städten wegen dieser Kooperation schon fast bewundert. Daher hat es mich auch sehr gefreut, dass wir Vertreter von Koalition und Opposition mit im Boot in Kassel hatten.
Stammen die neuen Ideen nur von diesen Zwölf?
Nein. Die Kasselaner hatten schon die Vorbereitung viel breiter aufgestellt. In eine sehr aufwendige Online-Analyse waren beispielsweise auch der Oberbürgermeister, der Bürgermeister und die Wirtschaftsförderung als Impulsgeber eingebunden. Ebenso alle Fraktionen, die bisher regelmäßiges Interesse an uns gezeigt und sich regelmäßig mit uns ausgetauscht haben. Aber auch unsere heimische Agentur sgc oder Marc Pralle von Fabrik19, der die GießenApp in über 60[ 000 Hosentaschen gebracht hat, waren dabei, ebenso natürlich die BID-Mitglieder, die per Fragebogen ihre Anregungen beigetragen haben.
Wie ist Ihr Fazit nach den zwei Tagen in Kassel?
Dank hervorragender Vorbereitung, Methodik und Atmosphäre haben wir in rasanter Geschwindigkeit einen klaren Kompass in einer sich rasant verändernden Einzelhandelswelt an die Hand bekommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war der genial empathische und belesene Moderator Daniel Petersen. Und was überaus wichtig ist: Die zwölfköpfige Seltersweg-Impulsgebergruppe ist wunderbar zusammengewachsen.