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Der allerkleinste Moment

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Ein erhellendes Künstlergespräch mit Andreas Walther gab es anlässlich seiner aktuellen Ausstellung mit Fotoporträts im Uniklinikum Gießen.

Gießen. Für ein anregendes Kunstgespräch im Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) sorgte Andreas Walther, der sich mit Kuratorin Dr. Susanne Ließegang und den Besuchern über seine dort präsentierten Fotoporträts austauschte. Der Dialog wurde ebenso abwechslungs- wie ertragreich.

Die Teilnehmer wählten zunächst ein Bild aus, um das es gehen sollte. Es wurde das Motiv einer jungen Frau. Die ungewöhnliche Arbeitsweise des Fotokünstlers bestand darin, mit dem Modell im gleichen Raum zu sein, ohne dabei Blickkontakt aufzunehmen. Der Moment der Aufnahme wurde herbeigeführt, indem Walther einen Spezialschalter festhielt, den er in einem zufälligen Moment losließ, sozusagen unbewusst.

Ließegang steuerte das Gespräch auf »den Moment« zu, der in der Fotografie eingefangen war, in diesem Fall in einer Sechzigstel-Sekunde. Natürlich weiß man, dass Fotos Momentaufnahmen sind, zum Teil ist das auch genau ihre Aufgabe. Es handelt sich hier aber nur um den allerkleinsten denkbaren Moment - der zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt. Die in sich ruhende Frau vermittelte dennoch den Eindruck, als schaue man sich eine gerade andauernde Situation an, zumindest sah ein Teilnehmer das so.

Wichtig ist dem in Gießen und Taipeh (Taiwan) lebenden Künstler das unbewusste Auslösen. »Man stellt keine gemeinsame Situation her. Es geht um den Prozess.« sagte Walther. »Raum und Zeit hängen ja zusammen, das ist die Dynamik.« Es gehe darum, was der Körper macht, während das Bild entsteht. Das unterscheide diese Aufnahmen stark von üblichen Porträts.

Besucher entdeckten im Bild der Frau etwa »entspannte Augen« oder »eine gewisse Ruhe« in ihrer Körpersprache. Andere sahen Unterschiede zwischen den beiden Augen - eines war fast geschlossen. Wobei dieses Detail auch durch den zufälligen Moment der Aufnahme bestimmt worden sein konnte. Fotografen versuchen für gewöhnlich, solche halb geschlossenen Augen auf ihren Bildern zu vermeiden. Walthers Aufnahmen sind dagegen nicht zur Informationsübermittlung gemacht worden.

Allerdings ist der Gießener sich über unsichtbare und unbewusste Vorgänge und Verhältnisse durchaus im Klaren. »Wenn ich im Wald einen Baum fotografiere, bin ich mir bewusst, dass er vielleicht gerade über seine Wurzeln mit anderen Pflanzen kommuniziert, und dann fotografiere ich ihn anders. Es geschehen eben ungesehene Dinge.« So auch bei seinen Porträts, für die er seinem eigenen Unterbewusstsein Einfluss auf den Aufnahmevorgang einräumt.

Im Gespräch stellten sich zahlreiche Aspekte heraus, die im Zusammenhang mit der Herstellung des Porträts und anderer Fotografien eine Rolle spielen. Tatsächlich ist eine Fotografie, etwa ein Selfie, im Bewusstsein der Menschen auch das Abbild eines Moments, in dem alle ins Objektiv strahlen. Andererseits nimmt man Porträts etwa von Würdenträgern nicht als Momentaufnahme wahr, sondern etwa als Zeitdokument, etwas zeitloses mithin. Andreas Walther hingegen arbeitet in seiner Fotokunst »mit einem Zeitmoment«, fasste Susanne Ließegang zusammen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 13. März in Ebene Null, Große Magistrale im UKGM.

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Andreas Walther © Red

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