»Der Freche« war aggressiv

Mord im Drogenmilieu - Ein mittlerweile verstorbener Zeuge kommt durch die Ausagen von Polizisten zu Wort
Gießen . Am vorigen Verhandlungstag hatte einer der drei Angeklagten, denen die Tötung eines Drogendealers und die schwere Körperverletzung seines Partners am 28. Februar in der Hindemithstraße zur Last gelegt werden, sein Schweigen gebrochen, sich dabei aber in Widersprüche zu seinen eigenen Aussagen in der polizeilichen Vernehmung verwickelt. Zudem standen einigen seiner Erklärungen Beweisen und Spuren entgegen, die am Tatort gesichert werden konnten, wie Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger darlegte.
Diesmal kamen vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Gießen nach Betrachten der Videoaufzeichnung der eingangs erwähnten Vernehmung Polizisten als Zeugen zu Wort. Sie hatten am Tatort Spuren gesichert, später ausgewertet und auch mit dem schwerverletzten Partner des Getöteten gesprochen. Dieser kann sich selbst nicht mehr zu der blutigen Auseinandersetzung äußern, da er mittlerweile verstorben ist - nicht an den Folgen des Überfalls, sondern an einer Krebserkrankung.
Dass in dem kleinen Ein-Zimmer-Appartement in dem Mehrparteienhaus nicht mit Zitronen gehandelt wurde, beweist schon der nachträglich installierte digitale Türspion, der bei jedem Klingeln ein Foto des Einlass Begehrenden schoss. Auch am Nachmittag des Tages, an dem gegen 22 Uhr ein Mensch sterben sollte, wurde einer der Angeklagten abgelichtet. Der erkannte sich auch auf dem von einem Digitalforensiker der Polizei sichergestellten und im Saal gezeigten Foto wieder. Er habe an diesem Nachmittag versucht, Heroin zu bekommen, sei aber abgewiesen worden, weil er kein Geld hatte.
Das überlebende Opfer hatte in der Befragung durch die Polizei am Krankenbett gesagt, dass sei »der Freche« gewesen. Der habe immer nur »irgendwelchen Kram«, aber kein Geld geboten, und sei, wenn er kein Heroin bekommen habe, aggressiv geworden.
Kaum eine Chance
Ob nach dieser Abweisung der Plan in den Angeklagten reifte, sich den verweigerten Stoff an diesem Tag mit Gewalt zu beschaffen, bleibt vorerst offen. Als der Dealer gegen 22 Uhr den beiden Anklopfenden die Tür öffnete, hatten er und sein Partner jedenfalls kaum eine Chance. Statt zu verhandeln, hätten die beiden sofort zugeschlagen. Weil die Opfer in der Wohnung den ganzen Tag gezecht hatten - zweieinhalb Flaschen Wodka à 0,7 Liter - konnten sie sich kaum zur Wehr setzen. Er sei sogar froh, so betrunken gewesen zu sein, hatte der Überlebende später im Krankenhaus berichtet, weil die beiden Eindringlinge schnell von ihm abgelassen hätten. Sein Freund, der versucht hatte, sich mit einem Gummihammer zu wehren, habe weit mehr Tritte und Schläge einstecken müssen.
Nachdem der Zeuge wieder zu sich gekommen war, hatte er festgestellt, dass er und sein Partner gefesselt waren. Dieser habe zu diesem Zeitpunkt aber noch schwach geatmet. Nachdem es ihm gelungen sei, zur Tür zu robben, habe er um Hilfe gerufen, bis ihn schließlich Nachbarn von seinen Fesseln befreiten sowie Polizei und Notarzt verständigten.
Von der Verteidigung wurde angemerkt, dass es in den Aussagen einen Widerspruch gebe. So habe das Opfer gesagt, dass die Tür von innen verschlossen gewesen sei, obwohl doch er und sein Partner gefesselt waren. Allerdings spreche dies nicht dagegen, dass die Täter so versucht hätten, Zeit zu gewinnen, da sie wahrscheinlich über den Balkon der Erdgeschosswohnung geflohen sind.
Später präsentierte ein Polizeiexperte 360-Grad-Panorama-Aufnahmen des Tatorts, die unmittelbar am Tatabend oder am nächsten Morgen aufgenommen worden waren. Darauf ist zu erkennen, dass viele Schranktüren und auch der Kühlschrank geöffnet waren, was auf eine hastige Durchsuchung der Wohnung schließen lasse, in der sich auch zahlreiche Drogenutensilien wie Feinwaagen befanden.
Belastende Indizien
Die Täter belasten dürfte, dass der Überlebende etliche der bei ihnen sichergestellten Gegenstände als seinen Besitz identifizieren konnte, darunter zwei Handys, ein Jagdmesser und eine Walther P 99 Schreckschusspistole.
Gegen die Männer spricht auch die Auswertung des Wlan-Routers in der Tatwohnung, die ergeben hatte, dass die bei den Verdächtigen sichergestellten Mobiltelefone um den Tatzeitpunkt herum aus dem Wlan der Wohnung abgemeldet worden waren.
Fortgesetzt wird der Prozess am morgigen Donnerstag mit einer der wichtigsten Zeuginnen, einer Freundin der Tatverdächtigen. In deren Wohnung soll das Trio nach dem Überfall die erbeuteten Drogen konsumiert haben.