»Der Gesprächston ist rauer«

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht in Gießen über das, was die Demokratie zusammenhält
Gießen . Was braucht eine Demokratie, um erfolgreich zu sein? Was kann getan werden, um sie zu erhalten? Und wie umgehen mit den Menschen, die sie ablehnen? Diese Fragen stellte sich der SPD-Unterbezirk Gießen in seinem Frühlingsempfang am Mittwochabend. Mit dabei war neben dem Bundestagsabgeordneten Felix Döring, der Landtagsabgeordneten Nina Heidt-Sommer und der Kandidatin für den Landtag im Wahlkreis 19, Dr. Melanie Haubrich, auch die sozialdemokratische Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Döring, der die versammelten Mitglieder des Unterbezirks durch den Abend führte, eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Ansprache, in der er auf Otto Wels verwies, zu dessen Ehren die SPD seit 2013 einen Demokratiepreis stiftet. Wels hatte sich während und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gegen eine Kollaboration mit der NSDAP ausgesprochen: »Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!«, zitierte Döring den Kämpfer für Demokratie.
Nach einem musikalischen Intermezzo mit Emily Härtel (Violincello) und Alexander Schmidt-Ries (Posaune) folgte die Rede der Bundestagspräsidentin. Darin widmete sie sich der Frage, was eine funktionierende Demokratie zusammen halte: »Sie steht und fällt mit dem Austausch und dem respektvollen Miteinander.«
Im Anschluss kam Bas auf die Länder der Welt zu sprechen, in denen gerade auf dramatische Weise um Freiheit und Demokratie gerungen werde: Ukraine und Iran. Gerade im Iran gehe es nicht nur um Fragen der rechtsstaatlichen Organisation des Landes, sondern auch ganz konkret um die Rechte von Frauen im Alltag. »Frauen und Mädchen sind an vorderster Front«, charakterisierte sie die Unruhen im Land. Doch auch bei uns gebe es noch Entwicklungsbedarf hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft: Bas warb für eine Wahlrechtsreform, die für Geschlechterparität im Bundestag sorgen solle.
Doch nicht auf höchster Ebene, sondern unten liege das, was einer Demokratie Halt gäbe. »Sie sind das Fundament der Demokratie«, bestätigte Bas alle die, die sich in der Lokalpolitik engagieren. Doch was, wenn das Fundament ins Wanken gerät? Wie umgehen mit denen, die sich von der Politik, den etablierten Medien und teilweise sogar von der Wissenschaft abgewendet haben? »Es ist schwierig geworden, diese Menschen zu erreichen«, führte Bas aus, »zudem ist der Gesprächston rauer geworden«.
Zwar sei es notwendig und wichtig, diese Menschen nach Möglichkeit wieder zurückzugewinnen und deswegen auf sie zuzugehen, aber: »Hass und Hetze dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben«, denn »auch unsere Demokratie hat kein Ewigkeitssiegel«. Wie also das Problem des Politikverdrusses lösen? »Es gibt kein Patentrezept«, meinte Bas, aber ein Ansatz wäre »die Sprache zu sprechen, die die Leute auch verstehen« und »die Bürger stärker einzubinden«, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Letzteres sei durch Bürgerräte erreichbar, bei denen eine per Los bestimmte Gruppe an Bürgern die Politik beraten solle. Dabei handele es sich um eine Win-win-Situation: Die Politik könnte direkter mit den Bürgern in Kontakt treten und Bürger hätten die Chance, einen besseren Einblick in die Arbeitsweise der Politik zu gewinnen. Gerade Kompromissbereitschaft, die elementar für das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie sei, wolle sie vermitteln, denn »es ist mühselig einen Kompromiss zu finden«.
Zum Abschluss der Veranstaltung richtete Felix Döring einige Fragen an die Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer und die Kandidatin für den Landtag, Melanie Haubrich. Wie sie in die Politik gekommen seien, wollte Döring wissen. »Es hatten sich in unserem Dorf rechtsradikale Gruppen gebildet«, erklärte Heidt-Sommer. »Was passiert, wenn unsere Demokratie nicht verteidigt wird, das hat mich bewegt.« Darum sei es ihr auch wichtig, »genau dahin zu gehen, wo es Menschen gibt, die sich nicht mitgenommen fühlen.« Für Haubrich war der Weg in die Politik dagegen »ein Prozess«, bei dem sie den Streit mit ihren auf dem Land lebenden Eltern lange gefürchtet habe - unbegründeter Weise. Gerade die Arbeit mit kleinen Ortsvereinen reize sie noch heute: »Da will ich mir abgucken, wie das mit der Ansprache vor Ort ist,« denn, »vor Ort kann man den Leuten nichts vormachen«.