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Der Junge mit der Gretsch-Gitarre

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Von: Ingo Berghöfer

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Spiel meinen Song. Für ein kleines Country-Medley begleitete Gießens Lokalmatadorin Tess Wiley Bernd Begemann. Foto: Berghöfer © Berghöfer

Gießen . Machen wir uns nichts vor: Gießen kann man nur lieben wie eine Mutter, die noch ihr hässlichstes Kind liebt. Und doch gibt es in unserer erst zerbombten und dann zerbauten Stadt ohne Meer noch einige Oasen, an denen die meisten leider - oder vielleicht auch zum Glück (denn der Investor lauert überall) - achtlos vorübergehen. Eine davon ist der Biergarten des Ulenspiegels.

Ein von großen Bäumen, Hecken und dem mächtigen Schiff der Johanniskirche gut beschirmtes Idyll, in dem in diesem Sommer nicht nur getrunken und gechillt werden kann, sondern endlich auch musiziert werden darf - zumindest bis 22 Uhr.

Kann man solch eine Location schöner einweihen als mit einem Bernd-Begemann-Konzert, dem Mann mit der längsten Setlist im Musikgeschäft? Auf mittlerweile acht DIN-A4-Seiten ist die in fast 4O Jahren angewachsen. Hunderte Lieder, die er in dieser Zeit solo oder mit seinen Bands »Die Antwort« und »Die Befreiung« aufgenommen hat, stehen darauf, und der Bernd spielt sie alle, wenn man ihn denn ließe und der Zeiger oben am Kirchturm nicht so stur weiterrutschen würde. Das Gründungsmitglied der Hamburger Schule bleibt auch in Gießen schwer zu fassen. Ist er ein Liedermacher? Ein Singer-Songwriter? Ein in die Jahre gekommener Crooner? Vor allem ist Bernd Begemann bei allem berechtigten Lob für seine poetischen Texte, punktgenauen Beobachtungen des deutschen Alltags und stets unkitschigen Liebeslieder einer der besten Gitarristen die dieses Land hat. Was er da lässig aus seiner halbakustischen Gretsch zaubert, changiert zwischen melancholischen Miniaturen (»Bleib zu Hause im Sommer«) und brachialen Eruptionen (»Weil wir weg sind«), die eher an den »Death Man« Neil Young erinnern als an den »Frauenversteher«. So wird er auf seiner aktuellen Tour beworben. Und dann gibt es da auch noch den begnadeten Entertainer, der seinen einzigen Protestsong (der sich gegen Esoteriker richtet) anspielt, zerlabert von Chomsky zu Putin und vom Hölzchen zum Stöckchen hüpft und den Song eine Viertelstunde später doch noch zu einem runden Ende bringt.

Nach drei Stunden ist um 22 Uhr noch lange nicht Schluss. Begemann stöpselt das Mikro aus, greift zur Akustikklampfe und schickt rund 50 glückliche Gäste mit Klassikern wie »Stand by me« oder »Blue Moon« ganz sanft nach Hause.

Im »Ulenspiegel«-Biergarten geht es live am 22. Juni mit »Braake« weiter, am 27. Juli folgt »Pet Owner« und am 17. August Ryan Tennis. Alle drei Konzerte finden jeweils donnerstags ab 19 Uhr im Garten statt. Sollte die Sonne an einem dieser Tage einmal nicht über Gießen lachen, zieht man in den Ulenspiegel um.

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