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Der Sänger und sein Sohn

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Lich. Eine ungewöhnliche Matinee erlebten die Besucher des Kinos Traumstern am Ostersonntag. Zu sehen war die eindringliche Dokumentation »Son of Cornwall« von Lawrence Richards. Der Filmemacher geht darin mit seinem Vater, dem berühmten Tenor John Treleaven, auf eine Reise in die gemeinsame Vergangenheit. Der Film und das anschließende Gespräch mit den beiden Gästen erwiesen sich als überaus offen, intensiv und aufrichtig, etwas Besonderes.

Der internationale Opernstar Treleaven, geboren 1950, stammt aus einer Fischerfamilie in Cornwall, badete gerne singend im Hafen von Porthleven, wobei er auch entdeckt wurde. Er wurde ans London College of Music empfohlen und begann seine Karriere 1979 nach der Ausbildung an der Londoner Covent Garden Opera. Seine weitere Karriere führte ihn auf die großen internationalen Opernbühnen, auch nach Deutschland.

Die Filmdoku wird aus der Perspektive seines Sohns erzählt. Lawrence Richards wollte immer genauso werden wie sein Dad, den er als Helden verehrte. Doch Treleaven zahlte einen hohen Preis für die Ausübung seines Traumberufs. Er war nicht oft zu Hause, sein kleiner Sohn entschuldigte ihn treulich bei vielen Gelegenheiten. Die Ehefrau verzichtete des Sängers wegen auf ihre eigene Karriere, um die Familie zu versorgen und ihrem Mann den Bühnenberuf zu ermöglichen. Treleaven bekannte: »Sie ist die selbstloseste Frau, die ich je getroffen habe.« Abgesehen davon, dass sein Sohn Lawrence das südenglische Cornwall in dieser Doku beinahe wie von einem Impressionisten gemalt leuchten lässt, zeigen die zahlreichen privaten Filmausschnitte harmonische, unverstellte Familienverhältnisse. Dabei war der Tenor lange Jahre seines Berufslebens alkoholkrank und stand schließlich vor dem Absturz: »Ich dachte nur noch an Alkohol«, sagt er geradeheraus.

Das Kinopublikum begleitet den Opernstar im Ruhestand zu seinen Wurzeln in Cornwall, zum Kirchenchor im Heimatdorf, wo er gerne eine Runde mitsingt, weil ihm das schon immer Freude gemacht hat. Auf seine Frage, ob er in Zukunft mitsingen dürfe, antworten die Sänger keck: »Nö!«

Die Fähigkeit des Vaters, auf der Bühne »alles zu geben«, beeindruckte den Sohn. Es war eine in Fachkreisen hochgeschätzte Fähigkeit, Bühnenrollen intensiv zu verkörpern. »Alles darf man natürlich am Abend nicht geben,« schränkt der Sänger ein, »man muss noch etwas zurückbehalten, sonst bleibt hinterher nichts übrig. Ich habe gelernt, dass man gut mit sich umgehen muss.«

Die Musik spiele in seinem Leben immer noch eine große Rolle, er übe täglich, habe ein paar Schüler und singe im Kirchenchor. »Er hat für dieses Filmgespräch sehr schweren Herzens auf das Mitsingen im Ostergottesdienst verzichtet«, erläutert der Regisseur. Im Film finden sich berührende Szenen, in denen Treleaven intime Fragen seines Sohns offen beantwortet, sich zuweilen dazu durchringt, obwohl es ihm sichtlich schwerfällt - aber er will antworten. So handelt der Film zugleich vom Sohn, das wird im Zuschauergespräch klar.

Deren Fragen bewegten sich weit abseits der üblichen Gefilde, zwei Besucher danken für den berührenden Ton des Films und für Treleavens grundehrliche Antworten auch auf emotional besetzte Fragen: »Sie sind eine Seele von Mensch«, sagt einer. Der Sohn erklärt im Kino: »Du warst immer lustiger, als du noch getrunken hast, später warst du viel ernster.« Im Traumstern weicht der Tenor keiner Frage aus, ringt ab und zu mit sich, bevor er antworten kann. Deutlich zu spüren war dabei, wie gut diese zwei Männer miteinander auskommen. Und sie haben die Belastung durch Treleavens Sucht überwunden. »Ich bin unheimlich stolz, als Mensch und als Vater«. So entstand eines der intensivsten Filmgespräche, die seit Langem im Traum-stern zu hören waren.

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