1. Startseite
  2. Stadt Gießen

»Der Tod ist kein Notfall«

Erstellt:

giloka_1503_letztehilfe__4c
Abschiednehmen: Wenn das Lebensende naht, können Angehörige mit kleinen Dingen unterstützen - etwa indem sie dem Sterbenden Mundpflege anbieten. Symbolfoto: dpa/Daniel Reinhardt © Red

Erste Hilfe kennt jeder. Aber wie man für Angehörige am Lebensende »letzte Hilfe« leisten kann, das konnte man nun beim Gießener Caritasverband lernen.

Gießen . Einen Erste-Hilfe-Kurs hat wohl fast jeder schon einmal besucht - schließlich ist die Teilnahme Voraussetzung für den Führerschein. Doch was, wenn es nicht darum geht, ein Leben zu retten, sondern einen Menschen in seinen letzten Stunden oder Tagen zu begleiten? Hier setzt die Idee der »Letzte-Hilfe-Kurse« an, die der Palliativmediziner Dr. Georg Bollig ins Leben gerufen hat. Der Ambulante Hospizdienst des Gießener Caritasverbandes hat nun erstmals einen solchen Kurs angeboten. »Bei der ›Ersten Hilfe‹ geht es darum, Leben zu retten. Bei der ›Letzten Hilfe‹ steht die Verringerung des Leidens im Mittelpunkt«, betont Michaela Augustin-Bill vom Ambulanten Hospizdienst. Gemeinsam mit Felicitas Zimmermann (Koordinatorin für den Ambulanten Hospizdienst beim Regionalverband Mittelhessen der Johanniter-Unfall-Hilfe) leitete sie den rund vierstündigen Kurs.

Die zehn Teilnehmer - übrigens fast ausnahmslos Frauen, lediglich ein Mann hatte sich angemeldet - haben ganz unterschiedliche Motivation: Eine junge Frau spielt mit dem Gedanken, ehrenamtlich Hospizbewohner zu begleiten. Andere haben sich angemeldet, weil die Eltern bereits hochbetagt sind, wiederum andere wollen einfach »auf den Ernstfall vorbereitet« sein.

Doch wie erkennt man eigentlich das nahende Lebensende? Wie Felicitas Zimmermann verdeutlichte, gibt es zwar eine ganze Reihe an Symptomen, wie etwa ein verringertes Interesse an Gemeinschaft, Antriebslosigkeit, Schwäche, Desorientierung oder vermehrte Bettlägerigkeit. Allerdings seien die Symptome ebenso wie der Sterbeprozess an sich von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche Anzeichen könnten auch in anderen Zusammenhängen auftauchen.

Ein häufiges Anzeichen, dass der Tod kurz bevorsteht, ist das veränderte Atmen, teils über Tage: Manche Sterbende, erzählt Zimmermann, machen sehr tiefe Atemzüge, manchmal gebe es Aussetzer beim Luftholen. Wenn das Schlucken und Abhusten nicht mehr funktioniert, führt das häufig zu einem charakteristischen Rasselgeräusch. Für Mitmenschen sei das oft unangenehm, dem Sterbenden bereite die Rasselatmung aber wohl keine Beschwerden.

Außerdem würden die meisten Sterbenden nichts mehr essen oder trinken wollen. Bei Angehörigen stößt das mitunter auf Unverständnis, die Unsicherheit ist groß. Aber: »Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken. Sondern man hört auf zu essen und zu trinken, weil man stirbt«, betont Felicitas Zimmermann. Tatsächlich sei die leichte Austrocknung sogar gut, weil das Gehirn dadurch beruhigende und schmerzlindernde Botenstoffe ausschütte. »Unser Körper sorgt gut für uns, auch am Ende.«

Wenn Sterbende sagen, dass sie durstig sind, könne das an einem trockenen Mund liegen - auch eine Nebenwirkung mancher Medikamente. Hier Abhilfe zu schaffen, sei eine Möglichkeit für Angehörige, bis zum letzten Moment praktische Hilfe zu leisten. Wenn der Sterbende noch schlucken kann, könne man ihm etwa kleine Eiswürfelstückchen oder gefrorenen Saft geben oder auch das Lieblingsgetränk in eine Sprühflasche füllen und damit die Mundhöhle benetzen. Falls kein Schluckreflex mehr vorhanden ist, gibt es spezielle Mundpflegestäbchen. Diese sehen aus wie ein Lolli, nur dass statt viel Zucker oben ein Stück Schaumstoff befestigt ist. Dieses wird in Flüssigkeit getunkt und damit der Mund betupft.

»Der Mund ist eines unserer sensibelsten Organe. Bei der Mundpflege sollte man ganz vorsichtig sein«, rät Felicitas Zimmermann. Außerdem gelte es natürlich, ein ›Nein‹ des Sterbenden zur Mundpflege zu akzeptieren. Schließlich fühle sich nicht jeder wohl damit, wenn ein anderer Mensch im eigenen Mund hantiert.

Auch wenn man in der letzten Lebensphase weniger aktiv ist, sei Selbstbestimmung - etwa bei der Körperpflege - auch dann wichtig, findet Michaela Augustin-Bill. Wer sich kaum noch bewegen kann und es nicht mehr ins Bad schafft, könne sich vielleicht noch mit einem feuchten Tuch die Hände abwischen.

Im palliativen Kontext begegne man oft auch Sterbewünschen. Im Gespräch stelle sich dann aber häufig heraus, dass Ängste oder auch Scham dahinter stecken. »Wir beschleunigen nicht das Sterben. Wir begleiten es«, betont die Caritas-Mitarbeiterin. Viele Schmerzen könnten heutzutage gelindert werden. Manche Patienten und Angehörige stünden einer Morphingabe jedoch skeptisch gegenüber, da sie eine Abhängigkeit befürchten. Die Expertinnen raten jedoch dazu, auf die Erfahrung der Palliativmediziner zu vertrauen und auch ihre Ängste vor den mitunter starken Medikamenten und den Wechselwirkungen anzusprechen.

Leidet der Sterbende unter Atemnot, könnten aber bereits kleine Dinge helfen: Fenster öffnen, selbst besonders ruhig atmen, die Sitz- oder Liegeposition des Patienten überprüfen und seine Arme höher lagern. Selbst ein kleiner Handventilator könne gut tun. Bei aller Pflege und Unterstützung sollten Angehörige aber auch an sich selbst denken, betont Felicitas Zimmermann.

Nicht zu unterschätzen in Bezug auf Selbstbestimmung sind für die Expertinnen auch die Themen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Beides bedarf der Schriftform, sollte gut überlegt und mit einer Vertrauensperson besprochen sein. Außerdem sollte man die Unterlagen immer mal wieder aktualisieren, damit deutlich ist, dass sie nach wie vor dem eigenen Willen entsprechen.

Ist das Lebensende absehbar, gibt es vielleicht noch Manches zu besprechen. Doch der Zeitpunkt muss für beide Seiten richtig sein. Will der Sterbende nicht reden, müssten Angehörige das akzeptieren - auch wenn es schwer fällt. »Die Ablehnung, die wir erfahren, hat meist nichts mit uns selbst zu tun, sondern mit der Situation«, betont Michaela Augustin-Bill.

Ist der Tod schließlich eingetreten, gebe es keinen Grund zur Eile. »Der Tod ist kein Notfall«, sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Der verständigte Arzt führt eine Leichenschau durch und stellt den Totenschein aus. Wenn der behandelnde Hausarzt etwa am Wochenende nicht erreichbar ist, sollte man darauf achten, die medizinischen Unterlagen bereit zu halten, die dem Mediziner beim Feststellen der Todesursache helfen.

In Hessen kann ein Verstorbener bis zu 36 Stunden zu Hause aufgebahrt werden. Auch nach einem Tod im Krankenhaus ist die Überführung nach Hause möglich - wer das wünscht, kann den Bestatter darauf ansprechen. Die Expertinnen raten dazu, die Möglichkeit des Abschiednehmens zu nutzen. »Nehmen Sie sich die Zeit. Es wird Ihnen helfen in Ihrer Trauer.«

Auch interessant