Der Wahnwitz des Familienalltags

Hungen. »Ich habe noch nie in einer Turnhalle gelesen. Echt cool«, meinte Kai Wiesinger ironisch zu Beginn seiner Buchpräsentation in der Hungener Schäferhalle. Kein Problem für sein Publikum, denn es weiß um den speziellen Charme ihrer Halle, die auch schon andere Künstler vor ihm zum Staunen gebracht hatte. In der OVAG-Reihe Leseland Gießen stellte der bekannte Theater- und Filmschauspieler einige amüsante Kapitel aus seinem Buch »Liebe ist das, was den ganzen Scheiß zusammenhält« vor.
Und er bot mehr als das: Charmant und locker plauderte er mit dem Publikum, stellte Fragen nach den Gewohnheiten der Hungener und verriet einiges über sein Privatleben. Besonders beeindruckten ihn die Bahnschranken im Ort. »Die waren ja länger als mein Zug.« Mit dergleichen spontanen Erkenntnissen hatte er das Publikum sofort für sich gewonnen. Es fühlte sich an wie ein lockeres Gespräch unter Freunden, sodass die räumlichen Gegebenheiten schnell vergessen waren.
Der 1966 in Hannover geborene Schauspieler wollte schon immer diesen Beruf ergreifen. Die Initialzündung lieferte ihm die Beschäftigung mit Schillers »Die Räuber«. »Wenn ein Stück so etwas bei dem Publikum bewirkt, wie es damals der Fall war, dann wollte ich das auch tun.« Eine Schauspielschule wollte ihn dennoch nicht annehmen. Schließlich ging er für einige Monate nach München zu einer privaten Einrichtung. »Die haben - glaube ich - wohl jeden genommen, der das Studiengeld bezahlte.«
Bekannt wurde Wiesinger durch »Kleine Haie« von Sönke Wortmann. Danach hat er eine Menge Filme, gute und schlechte, gedreht. Mit zunehmendem Alter kam dem Familienvater die Idee zur Serie »Der Lack ist ab« (Amazon), bei der er Regie führte und die Hauptrolle spielte. Im Nachgang dazu verfasste er ein locker-flockiges Buch über das Älterwerden. Etwa so: »Irgendwann fängt es damit an, dass man für alles Mögliche eine Brille braucht.« Auch in Hungen. »Wenn mich jemand fragt, ob ich etwas schreiben könnte, dann geht mein erster Griff in meine Hemdtasche - um zu prüfen, ob ich meine Brille dabeihabe.« Ähnlich locker geht es auch in seinen Geschichten zu, die er im neuen Buch zusammengefasst hat. Sie sind zwar alle autobiografisch geprägt, aber nicht eins zu eins übertragbar. »Aber die Gefühle, die ich in den Dialogen beschreibe, sind hundertprozentig meine.«
Es geht um den Alltag mit all seinen grotesken Momenten in der fiktiven Familie von Tim und Tanja sowie ihren zwei Kindern, beginnend bei der Geburt des ersten und endend mit dem Auszug des zweiten. Der Zeitraum umspannt rund 20 Jahre, in dessen Anschluss sich das Ehepaar auch wieder neu (zusammen-)finden muss. Unbeschreiblich lebensecht sind die Dialoge. Wiesingers Werk steht damit in der humoristisch-satirischen Erzähltradition Ephraim Kishons, den der Schauspieler auch sehr verehrt. Aktuell wird gerade an der Verfilmung gearbeitet. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.