»Der Wald ist in einer Krise«

Ernst-Ludwig Kriep, Förster im Gießener Stadtwald, spricht über den Zustand der Bäume und die Gefahren beim Spaziergang.
Gießen . Sehr große Sorgen, aber auch Zuversicht - so lässt sich zusammenfassen, was Ernst-Ludwig Kriep, Förster im Gießener Stadtwald, am Montagabend im Ausschuss für Klima-, Umwelt- und Naturschutz, Stadtentwicklung, Energie und Verkehr präsentierte. »Der Wald ist in einer sehr großen, grundsätzlichen Krise. Dem Stadtwald ging es noch nie so schlecht wie jetzt«, betonte er. Trotz der »dramatischen« Lage gebe es »Konzepte, um die Krise zu überstehen«.
Von den rund 1550 Hektar Stadtwald werden laut Kriep 1310 bewirtschaftet. Auf 380 Hektar wachsen Bäume, die älter sind als 140 Jahre. Was die Hitzesommer der vergangenen Jahre mit diesen Bäumen gemacht haben, verdeutlichte der Förster anhand des Fotos einer 172 Jahre alten Buche: »Die Rinde ist blass, sie hat Sonnenbrand. Diese Buche hat zuvor nie Temperaturen von 37 oder 38 Grad an ihrem Schaft erlebt.« An der Kronenspitze sehe es nicht besser aus, auch hier würden die Zellen verbrennen.
Auf »Traumjahre« folgt Dürrezeit
Schon in den Nullerjahren hatten die Hitzewelle 2003 und der Orkan »Kyrill« 2007 den Bäumen geschadet. Danach entspannte sich die Lage aber wieder: Als »traumhafte Zeit«, bezeichnete der Förster die Zeit zwischen 2010 und 2017. Die anschließenden Dürrejahre jedoch »setzten dem Wald gewaltig zu«.
Weil das so ist, verändere sich der Wald auch schneller als üblich. Eigentlich findet alle zehn Jahre eine »Inventur« statt, die letzte 2016. Die Flächen, die auf den anschließend erstellten Karten blau eingefärbt sind, gibt es heute so nicht mehr: Hier standen Fichten, die Borkenkäfern und Trockenheit zum Opfer gefallen sind. Aber: »Das ist immer noch Wald«, wenn auch mit sehr jungen und entsprechend kleinen Bäumen.
Kriep verglich die ehemaligen Fichtenbestände mit einem Haus, in dem eigentlich mehrere Generationen untergebracht sein sollten. »Wir haben einen Mieterwechsel vornehmen müssen.« Im Vergleich zu anderen Kommunen stehe der Gießener Stadtwald aber besser da, da der Nadelholzbestand bereits 2016 gering gewesen sei. Angesichts des rasanten Wandels brachte der Stadtförster kürzere Inventurabstände ins Gespräch.
Sollten im Stadtwald also künftig vermehrt Baumarten aus südlicheren Gefilden angepflanzt werden? Für Kriep ist das nicht das Patentrezept. »Sie holen sich keine neue Baumart, Sie holen sich ein ganz neues Ökosystem.« Die langfristigen Folgen seien nicht absehbar. Der Förster setzt daher auch auf eine natürliche Verjüngung mit heimischen Arten - in der »Hoffnung, dass die Bäume, die jetzt keimen, sich anpassen und wir unseren Wald behalten werden«. Waldwirtschaft sei mittlerweile auch »Katastrophenmanagement«.
Doch damit die jungen Pflänzchen nicht gleich wieder verschwinden, müsse man auch den »nicht mehr zeitgemäßen« Wildbestand bejagen. »Wenn wir es nicht schaffen, mit einer ökologisch orientierten Jagd fehlende Beutegreifer zu ersetzen, haben wir keine Chance.« Um den Rehbestand im Griff zu halten, fänden daher Gruppenjagden statt. Einzeljagden, und der damit einhergehende permanente Druck auf das Wild, seien dagegen verbissfördernd.
Dass zahlreiche Spaziergänger durch den Wald schlendern oder dort auf Pilzsuche gehen, sei gut - aber angesichts kranker Bäume auch gefährlich. Im Oktober war eine Spaziergängerin in einem Waldgebiet in Frankfurt von einem Ast erschlagen worden. »Jeder hofft, dass so etwas nicht im eigenen Wald passiert«, sagte Kriep. Im Philosophenwald hat die Stadt bereits Warnschilder aufgestellt.
Der Forstbetrieb begehe den Wald zudem regelmäßig und ernte Bäume für mehr Verkehrssicherheit. Kranke Bäume sollten zudem möglichst vor dem totalen Absterben gefällt werden, damit zumindest ein Teil des Holzes noch verwertet werden kann. Das Gießener Holz landet laut Kriep übrigens größtenteils in einem Umkreis von rund 200 Kilometern. Weniger als drei Prozent würden ins Ausland verkauft. »Wir waren und sind nicht auf diese Märkte angewiesen.«
Die Holzernte sorgt aber auch für teils tiefe Fahrspuren im Wald und Ärger bei Spaziergängern. Die Spuren würden eingeebnet, wenn die Ernte beendet ist und seien später nicht mehr sichtbar.
Generell versuche man, die Befahrungsfläche von derzeit 13 auf zehn Prozent zurückzufahren. Dort wo möglich, kämen auch Pferderücker zum Einsatz »aber auch in der naturnahen Bewirtschaftung müssen wir Maschinen einsetzen«.