1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Die Einsamkeit des Forschers

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Heinz-Gerhard Schütte

gikult_gruenesIMG_6465-1__4c
Die Herausgeber Ernst Halbmayer aus Marburg (links) und Michael Kraus aus Göttingen stellten die editierten Tagebücher im Grünberger Museum vor. Foto: Schütte © Schütte

Grünberg (hgt). An den 150. Geburtstag des bedeutenden Anthropologen und Forschungsreisenden Theodor Koch-Grünberg im Jahr 2022 anschließend, wurde jetzt im Museum im Spital Grünberg die Edition des Tagebuchs einer Expedition von 1911 bis 1913 nach Südamerika aufgestellt. Die Herausgeber Dr. Michael Kraus (Georg-August-Universität Göttingen) und Prof.

Ernst Halbmayer (Philipps-Universität Marburg) präsentierten den über 700 Seiten umfassenden Band mit dem Titel »Die Roraima-Orinoco-Expedition« und trugen einige Passagen vor.

Dritte Expedition festgehalten

Das editierte Tagebuch Koch-Grünbergs (1872-1924), der zu den Pionieren der ethnografischen Forschung zählt, behandelt seine dritte Expedition durch Südamerika. Das mit zahlreichen Bildern und erläuternden Begleittexten ausgestattete Werk bietet Einblicke in seine Forschungsmethoden ebenso wie seine persönliche Gedankenwelt. Bis heute zählen die Werke Theodor Koch-Grünbergs zu den Basismaterialien bei der Auseinandersetzung mit indigenen Gruppen des nördlichen Brasilien und des südlichen Venezuela. Die bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen, die in Beziehung zum politischen Kontext, dem Theoriestand der damaligen Zeit und späteren ethnologischen Forschungen gesetzt werden, veranschaulichen Erfolge und Schwierigkeiten der Expedition. Der Band ist ab sofort zum Preis von 100 Euro über den Buchhandel erhältlich. Die Stadt Grünberg und der Freundeskreis Museum Grünberg haben das Erscheinen durch einen Druckkostenzuschuss unterstützt. Stadtverordnetenvorsteher Karlheinz Erdmann und Museumsleiterin Karin Bautz begrüßten die Gäste bei der Buchvorstellung im Namen der Stadt Grünberg.

Laut der Herausgeber zeigte sich Koch bei seinen Expeditionen als genauer Beobachter und Schreiber. Im Buch komme man ihm aber auch als Familienmensch näher, der den Kontakt in die Heimat stets aufrechterhalten wollte. Als 1913 einmal eine Nachricht von ihm ausblieb, wurde daher sogar eine Suchexpedition erwogen. Erwähnt werden auch aufkommende Zweifel Kochs an seiner Forschungstätigkeit und die Empfindung der langen Abwesenheit von Zuhause. So gestand er seiner Frau etwa die Sehnsucht nach seinen Kindern.

Gefunden wurden bei der Recherche auch Forschungsanträge und Rechnungslisten, ohne die eine gut vorbereitete Expedition nicht auskommt. In Basel wurde bislang unbekanntes Filmmaterial gesichtet, zudem wurde ein Glossar angelegt, in dem Namen und Ausdrücke, auch in fremder Sprache, aufgeführt sind.

In den vorgetragenen Passagen wurden die Umstände des Aufenthaltes von Koch bei den Roraimas-Indianern mit dem Austausch von handwerklichen Schmuckarbeiten und die Aufzeichnung von Mythen, die lange Reise flussaufwärts, der Aufenthalt und die Rückreise erwähnt. Außerdem der Aufenthalt beim Stamm der Yanomami, die nicht so aufgeschlossen waren und Koch schmutzig vorkamen. Zudem kam es dort zu Verständigungsschwierigkeiten. Sie leben in weitgehender Abgeschlossenheit und die Versuche, mit ihnen in Kontakt zu kommen, werden eher als Störung empfunden.

Katastrophe für Indigene

Der eigentlich als freundlicher Mensch wahrgenommene Forscher neigte bei dieser schwierigen Expedition immer mehr zu Zornesausbrüchen, was bei den Indianern zu Unverständnis führte. Der Versuch, zum Quellgebiet des Orinoco vorzustoßen, brachte den Grünberger schließlich an den Rand seiner Kräfte. Hinzu kam der damalige Kautschukboom, der sich als Katastrophe für die indigene Bevölkerung erwies, wie es der heutige Goldrausch tut. Viele haben sich an der Ausbeutung des Rohstoffes bereichert, zugleich explodierte die Gewalt. Es wurde ein regelrechter Völkermord begangen, was Koch nicht verborgen blieb.

Bei der Buchvorstellung sprach Enkelin Anna Link Dankesworte an die Herausgeber aus, die mit dieser Arbeit einen neuen Blick auf ihren Großvater eröffnet haben.

Auch interessant