Die Flüchtigkeit des Lebens

Immer wieder wird beklagt, dass von Autoren ohne große biografische Fallhöhe keine gute Literatur zu erwarten sei. Was lässt sich schon berichten, wenn man niemals in der Nähe eines Krieges war, keine Krankheitsgeschichte überlebt hat, vielleicht nicht einmal eine dramatische Liebesbeziehung - sondern stattdessen in der bräsigen BRD der 80er Jahre vom Kind zum jungen Mann wurde?
Die überzeugende Antwort gibt Matthias Matschke. Der 54-Jährige ist bekannt als vielseitiger Schauspieler, der in den vergangenen rund 20 Jahren unzählige Comedy-Formate mitgeprägt hat - etwa an der Seite von Anke Engelke in »Ladykracher«, als Halbbruder Boris Pastewkas in »Pastewka« oder seit 2015 in der satirischen »heute-show«.
Nun legt der auch an den großen Theaterbühnen erfolgreiche Schauspieler seinen ersten Roman vor. Und »Falschgeld« zeigt, dass sich über die bleiernen westdeutschen 80er Jahre durchaus einiges von Belang und Tiefe erzählen lässt. Matschke macht das auf direkte Weise, indem er als Erzähler unter eigenem Namen auftritt, der sich immer wieder seiner selbst versichert: »Ich bin Matthias Matschke«, lautet ein mehrfach eingeschobener Satz. So verwandelt er seine Biografie in literarischen Stoff.
Geboren in Marburg, wächst der Autor/Erzähler in einem kleinem Dorf am Rande des Odenwalds auf. Sein Vater ist evangelischer Pfarrer, die Mutter arbeitet auf dem Fernmeldeamt in Dieburg. Die Kleinfamilie wohnt in einer bürgerlichen Wohlstandssiedlung, wie sie typischer nicht sein könnte. So nimmt der Autor die eigenen Erinnerungen an das Haus, die Straßen und die Schule als Ausgangspunkt, um die Entwicklung des Kindes und Jugendlichen in der Provinz nachzuzeichnen.
Dabei gelingen Matschke, sprachlich verdichtet, immer wieder wunderbare Beobachtungen, die das subjektive Erleben ins Allgemeingültige überführen. Etwa wenn es um die »paar Stellen rund um unser Dorf« geht, an dem irgendwann einmal jemand gestorben ist. Bei ihm sind es Jugendliche, die auf dem nächtlichen Heimweg von der Disco mit dem Auto an einen Baum geprallt sind. Ein vom Gegenverkehr übersehener Motorradfahrer. Oder eine Messerstecherei mit zwei Toten am Bach. Wohl jeder kennt solch einen Ort, der beim täglichen Passieren einen leichten Schauer auslösen kann. Für Matschke sind diese »Stellen wie Zeitmäuler, in die die Menschen gestopft und verschluckt werden«.
Um den Tod und existenzielle Fragen geht es in »Falschgeld« schließlich auch für die Hauptfiguren. Doch vor allem nähert sich Matschke dem Roman-Leben über die kleinen Dinge, die er über die eigene Erinnerung zurückholt. Ein Sturz vom Apfelbaum etwa, Computerspiele am Commodore64, der tägliche Schulunterricht am Gymnasium im nahen Darmstadt, das weitgehend harmonische Familienleben, in dem doch bald kleine Risse sichtbar werden.
Das erzählerische Konzept stellt Matschke seinem Roman voran. » Man muss an die Erinnerung glauben. Sie ist formbar wie die Zukunft. Es ist nicht verwerflich, sich an etwas zu erinnern, das es nicht gegeben hat. Wer soll uns dafür richten? « Es sind Sätze seines Vaters Christian, dem das Buch auch gewidmet ist. Ob es für Matthias Matschke also so wie geschildert oder vielleicht doch anders war, spielt am Ende gar keine Rolle. Denn vor allem überzeugt der 54-Jährige hier mit Beobachtungsgabe, sprachlicher Klarheit und Einfühlungsvermögen in seine Figuren, sodass er eine wie unmerklich vergangene Zeit wieder lebendig machen kann, die vielen seiner Leser überaus bekannt vorkommen dürfte.
Am Ende dieses kleinen, klug komponierten Romans bekommt die Geschichte doch noch einen dramatischen Zug. Der Vater erleidetet einen Schlaganfall, was den eingespielten, aber auch gleichförmigen Familienalltag vollkommen auseinandersprengt. So gelingt es Matschke in diesem Buch, die ganze Flüchtigkeit und Brüchigkeit sichtbar zu machen, die unser aller Leben ausmacht. Wahrlich eine literarische Leistung.
Matthias Matschke: Falschgeld. 256 Seiten. 24 Euro. Hoffmann und Campe.