Die Gesetze der Stärkeren
Schon diese eine ungemein intensive Szene reicht, um vom Roman »Hund Wolf Schakal« gepackt zu werden. Da ist der schmächtige, aus dem Iran stammende Saam, ein Außenseiter in seiner Berliner Schulklasse, der zusammen mit dem mehr als nur vorlauten Libanesen Heydar auf eine Bushaltestelle zuschlendert, Dort steht ein blonder Gymnasiast, dem schon ein erster Blickkontakt reicht, um zu ahnen, was ihm gleich bevorsteht.
Und wie präzise Autor Behzad Karim Khani nun dieses Aufeinandertreffen schildert, bei dem es um eine Basecap geht, um lauernde Aggressionen und das Ausloten von Machtverhältnissen, das ist schon große Kunst.
»Abziehen« an der Bushaltestelle
Der kräftige, skrupellose, in zahllosen Revierkämpfen gestählte Heydar nennt sein Hobby »Loser abziehen« und fordert die Kappe des anderen. Das Bürgersöhnchen will sie nicht hergeben, versucht aber ebenso, den drohenden Schlägen aus dem Weg zu gehen. Und der peinlich berührte Neuankömmling Saam will die aufgeladene Situation deeskalieren - was ihm schließlich gerade noch gelingt. Auch wer noch nie mit dem Phänomen des »Abziehens« zu tun hatte, wird nach der Lektüre erahnen, wie sich eine solche Situation unter Teenagern anfühlt.
So kann das also laufen, wenn man in einem Berliner Problemviertel aufwächst: Es regiert - zumindest zunächst - das Gesetz des Stärkeren. Doch das hat weder etwas mit den Gangsta-Rap-Videos zu tun, wie sie die Teenager aller Milieus und Herkunftsorte feiern. Noch kennt man das aus anderen Coming-of-Age--Romanen, in denen allzu häufig gefühlige Selbstbespiegelung betrieben wird. Szenen wie diese sind seltener literarischer Stoff. Schlicht deshalb, weil die meisten Autoren nichts vom Leben wissen, wie es Bhezad Karim Khani kennengelernt oder doch zumindest beobachtet hat, der 1977 in Teheran geboren wurde und mit seiner Familie 1986 nach Deutschland kam. Und genau deshalb ist sein Roman »Hund Wolf Schakal« eine unbedingte Entdeckung, die vom Leben im Berliner Einwanderer-Kiez erzählt - mit schonungsloser Härte und zugleich in einer kunstvollen Sprache, die immer wieder funkelnde Sätze entstehen lässt.
Der Roman erzählt von den Brüdern Saam und Nima, die sich nach dem Tod der Mutter im Iran der Revolutionswirren zusammen mit ihrem Vater aufmachen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Während der Mann hart schuften muss, um die dreiköpfige Familie zu ernähren, bleiben die beiden Jungs auf sich allein gestellt - und lernen bald die Regeln der Straßen kennen, in dem sie sich fortan behaupten müssen. Mit unterschiedlichem Erfolg.
Saam entkommt diesem Teufelskreis nicht mehr, stattdessen entwickelt er sich zum Kleinkriminellen, der sich in seiner Gang mit Härte behaupten muss, um nicht selbst in den Mühlen der Hierarchien unterzugehen. Im Roman heißt es dazu: »Ein Spiel, das einfach nur ein Spiel blieb, befand sich nicht im Rahmen des Vorstellbaren (...) Immer hatte alles mit diesen Millimetern der Machtverschiebung zu tun. Immer mit oben und unten. Mit auslachen und ausgelacht werden, mit ficken und gefickt werden«.
Die Wege dieser jungen Männer scheinen vorgezeichnet. Und doch ergeben sich, je nach Glück und Talent, Möglichkeiten der Abweichung. Davon erzählt dieser fulminante Roman, der dabei einen ebenso konsequenten wie kunstvollen Ton anschlägt, wie man ihn hierzulande noch kaum vernommen hat.
Behzad Karim Khani: Hund Wolf Schakal. 288 Seiten. 24 Euro. Hanser.