Die großen Themen des Lebens

Mit Ironie und Perfektion: Max Raabe und das Palast Orchester glänzen imit alten und neuen Titeln in der Kongresshalle Gießen.
Gießen . Einige musikalische Bescherungen finden in der Vorweihnachtszeit in den hioesigen Konzertsälen statt. Nach Götz Alsmann war am Mittwochabend Bühnenstar Max Raabe zusammen mit seinem hochkarätigen Palast Orchester in der Kongresshalle zu Gast. »Guten Tag, liebes Glück« heißt das Programm mit Titeln aus den 1920ern, 30ern und der Gegenwart. Die Wirkung im voll besetzten Hause war enorm, die Qualität nicht zu überbieten.
Max Raabe gehört seit Jahren zu den Großen des internationalen Showgeschäfts und pflegt seit der Gründung des Ensembles 1986 auf der Bühne vor allem eins: die große Geste. Seinen ersten Charterfolg hatte das Ensemble 1992 mit »Kein Schwein ruft mich an«, auch Sönke Wortmanns Film »Der bewegte Mann« machte es weithin bekannt. Seit Beginn der 2000er Jahre touren Raabe und die Band auch regelmäßig in die USA und Kanada, wo sie berühmte Säle wie die New Yorker Carnegie Hall bespielen.
2019 erschien die CD »Max Raabe & Palast Orchester MTV Unplugged«. Zu dieser besonderen Live-Produktion wurden Gäste eingeladen, die sonst nicht mit ihrem Genre in Verbindung gebracht werden: Herbert Grönemeyer, Lars Eidinger, Namika, Lea, Heavy Metal Monster Mr Lordi, Pawel Popolski und Rapper Samy Deluxe. Grönemeyers »Mambo« stand auch in Gießen auf dem Programm, ein schöner Kracher.
Perfekt kultivierte Nostalgie
Schon vor Beginn strömt kultivierte Nostalgie von der Bühne, wenn man die klassische Dekoration mit den typischen Schildern vor jedem Pult sieht. »Musik zu den großen Themen des Lebens« kündigt Raabe an, bevor es mit »Ich hör so gern Musik« losgeht. Da entfaltet sich der große Klang des bläserstarken Jazzorchesters. Alles ist, wie man es kennt: Raabe sieht genauso aus wie im TV, er agiert auch genauso, und das Orchester strahlt dazu. Das klingt hier besser als auf jeder Anlage, der Saalsound ist samtig und transparent, nichts stört den Hörgenuss. Raabe singt Schlager aus den Goldenen Zwanzigern, aber auch seltenere Titel und nur ein paar Evergreens.
In seiner Moderation fügt er immer wieder witzige Gedanken oder Szenen ein und ein paar kleine Geschichten aus unserer Zeit, die seine Qualität als Moderator belegen. Dabei verlässt er nie seinen eigentümlichen mimischen Duktus. Auch gesanglich nicht, der Bariton behält die typische, etwas schräge gesangliche Lage immer bei, außer wenn er mit zwei Kollegen einen Titel im Chor singt.
Apropos Kollegen: Das Orchester agiert mit famoser Präzision und sichtbarem Vergnügen. Besonders der vielseitige Schlagzeuger Fabio Duwentester agiert wie unter Strom. Das perfekt eingespielte Ensemble lockert das Geschehen mit kleinen freundlichen Gesten auf oder zeigt schon mal gemeinsam auf den Solisten: das wirkt witzig und ist zugleich ironisch. Zur Pause zerdeppert der Schlagzeuger in einer kleinen Szene das Glockenspiel.
Das Beste ist aber die großartige technische Kompetenz der Band. Die hocheleganten und abwechslungsreichen Arrangements - immer mit Synkope auf dem Becken, zwischendurch sofort abgedämpft, ist an sich schon eine Freude. Hinzu kommen zahllose kleine Einfälle oder witzige Zitate. Die Bläser finden stets zu einem warmen, klaren, wunderschönen Sound. Uneingeschränkt hervorragend ist auch die Arbeit sämtlicher anderer Musiker, allesamt Solisten.
Beherrschend ist Raabes Präsenz: Er schreitet zum Mikrofon und tritt betont höflich in den Schatten, wenn Solisten gerade ihren Moment haben. Das insgesamt originelle aber eher diskrete Licht wird dann weich gedimmt, gelegentlich wird ein farbiger Schleier übers Ensemble gebettet. Der 60-Jährige artikuliert dazu mit höchster Genauigkeit und großem Gefühl. Er ist auch ein versierter Komponist und Texter, was man in seinen Titeln wie »Côte d’Azur«, »Fahrrad fahrn« oder »Der perfekte Moment« hört. Der verschmitzte Humor, die unerwartete ironische Wendung sind dabei typisch, aber auch ein authentisches Gefühl der Entspanntheit.
Ein Ständchen zum 60. Geburtstag
Überrascht ist er, als eine junge Frau bei Grönemeyers »Mambo« plötzlich im Gang nach vorne tanzt, kein Wunder, die Musik geht schließlich richtig in die Beine. »In Gießen brennt die Luft,« sagt er. Als dann Glückwünsche zum Geburtstag eintrudeln und ein Chor im Saal »Happy birthday« intoniert, zeigt er sich berührt.
Das enthusiastische Publikum erklatscht sich drei schöne Zugaben, darunter auch der »Kleinen grüne Kaktus«, nochmal ein Kabinettstückchen - alle sind glücklich.