Die Kunst der Fugen
Gießen. Einen Riesenerfolg konnte das Chagall Quartett mit seinem Auftritt beim dritten aktuellen Winterkonzert des Vereins Gießener Meisterkonzerte im ausverkauften Hermann-Levi-Saal verbuchen. Die Musiker glänzten mit höchstem handwerklichen Niveau und einer mitreißenden emotionalen Kraft. Ihre Werkauswahl mit Bach, Janácek und Schubert erwies sich als überaus interessant.
Das Publikum zeigte sich hingerissen.
Stefan Hempel (Violine), Holger Wangerin (Violine), Max Schmiz (Viola) und Jan Ickert (Violoncello) waren zuletzt 2018 in der Stadt und hatten sich schon damals als Spitzen-ensemble mit internationaler Klasse erwiesen. Voller Spielfreude musizierte das 2002 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler gegründete Quartett zunächst Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Auszüge aus der »Kunst der Fuge«. Holger Wangerin fügte kundig und kurzweilig eine Moderation zum Thema ebenso wie zu den anderen Teilen ein.
Mit behutsamer Präzision wurde die Serie von Fugen eröffnet, zunächst mit träumerischem Hereinwehen, leicht und mit sanfter Beschwingtheit. Abwechslung war angesagt in diesem Vierfachsatz. Der nächste kam sanft sprudelnd mit einer melodischen Abweichung daher. Dann ging es flink und lebhaft weiter. Schließlich eine narrative Vielstimmigkeit, teils etwas elegisch. Das recht komplexe Material wurde schön durchsichtig realisiert, massiver Beifall.
Leoš Janáceks (1854-1928) Streichquartett Nr.1 »Kreutzersonate« als zentrale Attraktion brachte dann ganz große Gefühle. Mit zunächst klar melodramatischem Auftakt entwickelte sich das Geschehen bald zu einer flotten Dramatik, schnelle Elemente wurden eingeworfen, dann wieder lief es stimmungsvoll: insgesamt sehr interessant. Es gab Anklänge an den Walzer sowie Klangeffekte, der aparte Duktus wies hochdramatische Wendungen und knackige moderne Elemente auf - das war spannend musiziert.
Im dritten Satz kamen leicht grelle Elemente hinzu, die Assoziationen an einen Schauerroman ermöglichten. Im vierten Satz dann ein fast sakrales sanftes Einschweben, dennoch frisch und lebenslustig. Genüsslich wurde die stilistische Vielfalt der Komposition ausgeführt, und eine fast leidenschaftliche Spannungsdramaturgie realisiert. Großartig, wenngleich es schon etwas anstrengend war, diese konzentrierte Komplexität zu konsumieren.
Bis dahin hatten die Berliner Gäste bereits einen emotional mitreißenden, handwerklich überragenden Eindruck hinterlassen. Eine intuitive inhaltliche Übereinstimmung ließ das Ensemble zu einer exzellent homogen agierenden Klangquelle werden, der man sich mit blindem Vertrauen hingeben konnte; ein Erlebnis.
Der abschließende Teil des Musikerlebnisses bestand in Franz Schuberts (1797-1828) kontrastreichem Streichquartett a-Moll D 804 op. 29 »Rosamunde«. Es begann mit schmelzender Leidenschaft und wurde dann lebhaft mit sanften Einschüben. Die Dramatik war dezidiert fröhlich, mit einer federleichten Vielfalt, wenngleich eine versunkene Stimmung den Klang durchwehte. Das Ensemble ließ die Klangfarben herrlich konkret werden, leuchtete die Komposition bis in den letzten Winkel hinein aus; eine seltene, famose darstellerische Kompetenz und ein wesentliches Merkmal dieser Formation.
Eine wunderbare stilistische und klangliche Vielfalt kennzeichnet das weitere Material. Mal wurde mit sanfter Dynamik ein charmanter neuer Duktus angeschlagen. Dann wieder ein schwereloses Tänzeln mit bestechender Leichtigkeit vollführt: großes Volumen ohne eine Spur von Unreinheit. Als Zugabe genoss das Publikum »Shine you no more«, auf der Grundlage von John Dowlands »Flow my Tears«. Noch einmal großes Kino.
Die Reihe der Winterkonzerte wird mit dem Ensemble Neo-Barock am Mittwoch, 15. März, um 20 Uhr im Levi-Saal fortgesetzt. Karten gibt es über www.giessener- meisterkonzerte-ev.de.