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Die letzte Station vor der Bühne

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Von: Petra A. Zielinski

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Mehr als nur Schminken: Marina Gundlach probiert aus, ob die Kopfbedeckung auch richtig sitzt. Fotos: Zielinski © Zielinski

Narben, Wunden und Nasenbluten gibt’s inklusive: Maskenbildner am Stadttheater Gießen »sind in der Lage, Geniales zu leisten«. In dem Ausbildungsberuf herrscht jedenfalls keine Langeweile.

Gießen. Wenn am 12. März in Los Angeles die Oscars verliehen werden, stehen vor allem die Schauspieler im Fokus. Doch was wäre ein Schauspieler ohne Kostüm oder die entsprechende Maske? Aus diesem Grund wird bei den »Academy Awards« auch die Kategorie »Bestes Make-up und beste Frisuren«, für die diesmal auch das deutsche Kriegsdrama »Im Westen nichts Neues« nominiert ist, vergeben. Dass Maskenbildner ein anerkannter Ausbildungsberuf ist, wissen jedoch die wenigsten.

»Bis 2006 war eine abgeschlossene Friseurausbildung Voraussetzung, um diesen kreativen Beruf zu ergreifen«, sagt Marina Gundlach, eine der Ausbilderinnen in der Maske am Stadttheater. »Nach meinem Realschulabschluss habe ich einen Berufstest bei der Agentur für Arbeit gemacht. Herausgekommen ist der Beruf der Maskenbildnerin«, erinnert sie sich. »Ich habe dann hinter die Kulissen unseres kleinen Theaters in Nordhorn (Niedersachsen) geschaut und sofort gewusst: Das ist es!«

Der dreijährigen Friseurlehre folgte ein Jahr Kunststudium in den Niederlanden. Nach einem Jahrespraktikum in Wies-baden und einer Ausbildung in Mainz kam sie 2011 ans Stadttheater Gießen. »Früher gab es bis zu 100 Bewerbungen um eine Stelle.« Heute seien es kaum noch die Hälfte.

Einen etwas anderen Weg zu ihrem Traumberuf hat Katja Pfitzenmeier gewählt. »Mit 14 Jahren habe ich zwar mal ein Praktikum beim Friseur gemacht aber ansonsten keinerlei Erfahrung gehabt«, sagt sie. Nach ihrem Abitur absolvierte die gebürtige Karlsruherin ein Freiwilliges Soziales Jahr in der mobilen Altenpflege, bevor sie zum Ökotrophologie-Studium an die Justus-Liebig-Universität wechselte. »Während des Studiums habe ich bereits im Stadttheater an der Theke gearbeitet.« Nach ihrem Bachelor nutzte sie dann die Chance, sich beruflich noch einmal neu zu orientieren. »Nach einer Vorstellung habe ich mich bei Marina Gundlach nach einem Jahrespraktikum erkundigt.« Das war 2019. Aktuell steht die junge Frau kurz vor der Abschlussprüfung ihrer dreijährigen Ausbildung.

»Aufgrund ihrer Komplexität wird die Ausbildung zum/zur Maskenbilder(in) sehr selten verkürzt«, erklärt Marina Gundlach. Denn neben dem Frisieren, Schneiden und Färben von Eigenhaar und Perücken muss auch das Knüpfen der Perücken beherrscht werden. Auch kleinere Näharbeiten und das Modellieren mit Ton gehören zur Ausbildung. »Maskenbildner zu sein, bedeutet mehr als nur Schminken«, bringt es Marina Gundlach auf den Punkt.

Insgesamt gibt es in Deutschland drei Berufsschulen für Maskenbildner: in Hamburg, Berlin und Baden-Baden; Katja Pfitzenmeier hat letztere besucht. »Der Blockunterricht findet in Baden-Baden vier- bis fünfmal im Jahr zwischen zwei bis vier Wochen statt«, erklärt sie. Untergebracht sei man im Wohnheim. Die junge Frau hat bereits mit dem Üben für die schriftlichen Prüfungen im Mai sowie die zweitägige praktische Abschlussprüfung im Juli begonnen.

Technik von 1872

Neben »Altschminke« gehören unter anderem auch die Fertigung historischer Frisuren mit Perücken und Eigenhaar, das Modellieren einer Tanzmaske sowie »Wellenondulation« mit einem heißen Eisen zur praktischen Prüfung. »Das ist eine Technik aus dem Jahr 1872«, weiß Katja Pfitzenmeier. Auch das Erstellen und Ankleben von Prosthetics zählt dazu. Dabei handelt es sich um die Modellierung von Gesichtsteilen wie Kinn oder Nase.

Aber auch ganze Gesichtsmasken, Narben oder Wunden müssen das Repertoire umfassen. Zunächst wird mit Ton oder Plastilin modelliert, dann ein Formbau aus Gips oder Kunststoff erstellt. Das Positiv kann dann beispielsweise aus Latex, Pappmaché oder Silikon sein.

Freude an Kunst und Theater, Kreativität, handwerkliches Geschick, aber auch Geschick im Umgang mit Menschen zeichnen nach Auskunft von Marina Gundlach Maskenbilder(innen) aus. Schulnoten seien weniger entscheidend. »Der Maskenstuhl ist die letzte Station, bevor der Schauspieler die Bühne betritt«, erklärt sie. Hier gelte es, den Darstellenden möglichst Ruhe zu vermitteln und ein gutes Gefühl zu geben.

Die Maske sollte in das ästhetische Konzept des jeweiligen Stückes passen. Aus diesem Grund sei eine enge Zusammenarbeit mit den Kostümbildnern besonders wichtig. »Man muss wissen, ob der Schauspieler mit der Maske auch tanzen, singen oder sehen soll.« Die größte Herausforderung für Marina Gundlach war bisher der »steppende Gorilla« aus dem Musical »Cabaret«. »Der Schauspieler hat ein großes Gesichtsteil bekommen, mit dem er auch tanzen und gleichzeitig gut sehen musste.« Eine Stunde habe er täglich in der Maske verbracht. Ein komplettes Tattoo könne auch schon mal bis zu 90 Minuten in Anspruch nehmen.

»Wir machen alles - von Puder und Lidstrich bis hin zur Vollmaske«, so Katja Pfitzenmeier. Auch wenn Nasenbluten, eine frische Stich- oder Schussverletzung gewünscht seien, finde man in enger Abstimmung mit anderen Abteilungen immer eine Lösung.

Arbeiten, wenn andere frei haben

»Maskenbildner sind in der Lage, Geniales zu leisten«, unterstreicht Marina Gundlach und nennt ein berühmtes Beispiel aus der Filmwelt. »Im Film ›Cloud Atlas‹ wurde aus Halle Berry mit Hilfe von Gesichtsteilen und Make-up eine Europäerin gemacht. Es wurde gezaubert und keiner hat es gemerkt.«

Das Maskenbilderteam des Stadttheaters ist jung und besteht derzeit aus acht Maskenbildnerinnen. »Unseren Urlaub nehmen wir hauptsächlich während der sechswöchigen Spielpause im Sommer. Die Arbeit am Abend und an Wochenenden gehört genauso dazu wie die an Feiertagen. Aber da die Arbeit sehr viel Spaß macht, geht man die Kompromisse gerne ein«, fasst Katja Pfitzenmeier zusammen. »Ich finde das sogar besser als einen normalen ›9 to 5-Job‹.«

»Der Beruf ist im Wandel«, weiß Marina Gundlach. Viele Maskenbildnerinnen würden momentan in Teilzeit arbeiten. Wenn Katja Pfitzenmeier im Sommer ihre Ausbildung beendet hat, wird eine neue Auszubildende oder ein neuer Auszubildender gesucht. Hin und wieder ist auch die Arbeit mit giftigen Stoffen wie Polyurethanschaum oder Glatzan erforderlich. »Dafür haben wir aber einen speziellen Raum mit Abzugsanlage und sind gut geschützt, denn dort arbeiten wir mit Schutzkleidung, Atemmaske und Handschuhen«, stellt die Ausbilderin klar.

»Jeder Schauspieler hat seinen eigenen Gipsabdruck«, erzählt sie. »So können wir schon mal arbeiten, wenn der Darsteller noch nicht da ist.« In dieser Ausbildung wird es nie langweilig.«

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»In dieser Ausbildung wird es nie langweilig«: Katja Pfitzenmeier beim Modellieren einer Maske. © Petra A. Zielinski

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