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»Die Leute sind unglaublich müde«

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Von: Ingo Berghöfer

Das Gefühl der Gefährdung und des Stresses gehen nicht weg, wenn man hier angekommen ist. Man würde denken, man sei jetzt sicher, aber die Menschen fühlen das nicht. Sie bleiben im Überlebensmodus, zumal ihre männlichen Angehörigen ja an der Front sind, und sie das alles jeden Tag miterleben. Dazu kommt die soziale Scham, dass man selbst in Sicherheit ist.

Viele fühlen sich deshalb schuldig.

Der Stress der Integration in die deutsche Gesellschaft mit ihren fremden Normen und Regeln, unter denen man jetzt funktionieren muss, belastet ebenfalls. Viele Ukrainer haben Schlafprobleme und können deshalb schlecht lernen. Auch brechen schwelende Familienprobleme, in der Ehe oder mit den Kindern, verstärkt auf. Die Leute sind unglaublich müde. Ihre Ressourcen gehen zur Neige.

In letzter Zeit beobachten wir in unserem psychosozialen Projekt zur Unterstützung ukrainischer Familien in Gießen, dass ukrainische Schüler verstärkt Rassismus in deutschen Schulen ausgesetzt sind. Sie werden gemobbt. Es gibt Lehrer, die Kindern ins Gesicht sagen: »Putin ist gut und ihr seid die Nazis.« Auf den Schulhöfen werden ihnen von deutschen Kindern und von Kindern türkischer Abstammung russische Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Sie können sich oft nicht wehren, weil sie die Sprache noch nicht gut genug beherrschen. Aber die Familien halten trotz dieser Erschöpfung durch. Diese Hoffnung, dass alles am Ende gut werden wird, ist sehr imponierend.

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