Die Rechnungen des Kupferstechers

Ein Zufallsfund im Stadtarchiv Grünberg sorgt für langjährige Forschung, ein Buch und eine Ausstellung. Es geht um einen Künstler aus dem 17. Jahrhundert.
Grünberg. Johann Philipp Thelott (1639 bis 1671) war ein ebenso meisterlicher wie gewissenhafter Kupferstecher. In seinem Rechnungsbuch notierte er sorgfältig die Lieferungen an seine Kunden. Ebenso die entsprechenden Daten und Einnahmen, die er mit seiner Arbeit erzielte. Der Eintrag zu Ostern 1668 lautet so: « Hab ich auf ein sielbernes Bletly etlich Namen gestokhen darvohr ich zu haben hab «. Spannendes Deutsch - und ein ungemein wertvoller Quellenfund, wie Prof. Holger Th. Gräf schwärmt. Der Historiker forscht am Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde in Marburg und hat sich in einer jahrelangen Detektivarbeit mit dem Künstler befasst. Der Ausgangspunkt seiner Recherche führt ins Grünberger Stadtarchiv.
Zufallsfund im Stadtarchiv
Den Anstoß gab 2015 der historisch bewanderte Ekart Rittmannsperger. »Ich entstamme mütterlicherseits einer alten Grünberger Bäckerfamilie«, berichtet er beim Ortstermin im dortigen Stadtarchiv. So suchte er in den dort lagernden Quellen nach Spuren dieser Familiengeschichte in alten Zunftbüchern - und fand beim Blättern einen Band aus dem 17. Jahrhundert. Darin stieß er per Zufall auf den Namen Merian und wurde stutzig. Denn diese Frankfurter Verlegerfamilie ist berühmt für ihre zahlreichen Stiche von Orten und Städten. Auch eine Ansicht Grünbergs ist erhalten geblieben. Warum aber taucht dieser Name in einem solchen Rechnungsbuch auf? Rittmannspergers Interesse war geweckt. Er machte den Marburger Historiker Gräf auf den Fund aufmerksam - und die Spurensuche nahm ihren Anfang.
Doch zunächst zur Frage, warum sich in diesem Zunftbuch ein ganz anderer Inhalt verbirgt als erwartet. Das hat mit dem Wert des Papiers zu tun, erläutert Experte Gräf. Für den Band wurde wertvolles Pergament verwendet. Und wenn noch Platz vorhanden war, wurde der Weißraum von späteren Generationen häufig für andere Zwecke weiterverwendet. So wie in diesem Falle.
Womit sich die nächste Frage auftut: Warum lagern die aufgelisteten Arbeitsleistungen eines in Augsburg geborenen, in Frankfurt gestorbenen Kupferstechers im Stadtarchiv Grünberg? Um dieses Rätsel zu beantworten, war Gräf in zahlreichen Museen und Archiven unterwegs, nutzte sein dichtes Netzwerk aus Experten im In- und Ausland. Und fand dabei Spuren Thelotts in ganz Europa, darunter etwa im Nationalmuseum Warschau und in der Leopoldina Wien, so dass er schließlich ein komplexes Puzzle zusammensetzen konnte. Daraus entstand ein vor wenigen Tagen erschienener großformatiger Band, in dem die Geschichte des Künstlers nachgezeichnet wird (siehe Kasten).
Johann Philipp Thelott entstammt einer bedeutenden Augsburger Kupferstecherfamilie, die einem ganzen Stadtviertel bis heute ihren Namen verleiht. Er zog in die reiche Buchhandelsstadt Frankfurt, wo er sich bald zum gefragten Porträtisten entwickelte. Zahlreiche seiner Bilder hochrangiger Persönlichkeiten sind bis heute erhalten, ebenso wie Landschaftszeichnungen und anatomische Studien, Illustrationen wissenschaftlicher Buchpublikationen sowie der Komödiendichtung. Eng bekannt war der Künstler mit dem Frankfurter Ratsschreiber Johannes Raab, der einer alten Grünberger Familie entstammte und auch nach seinem Wegzug in die Mainmetropole Kontakte in die mittelhessische Heimat unterhielt. An ihn dürfte das Arbeitsbuch Thelotts nach dessen Tod im Jahr 1671 übergegangen sein, vermutet Historiker Gräf. Und so fand es vermutlich seinen Weg ins Grünberger Stadtarchiv.
Für Holger Gräf ist es eine »einzigartige Quelle«, weil sich sonst keine Dokumente dieser Art erhalten haben. Rechnungsbücher sind Arbeitsmaterialien - und zählten nicht zum künstlerischen Oeuvre. Umso bedeutender ist der Fund für die Forschung einzuordnen. So entstanden Workshops und eine Tagung. Das Buch wurde Ausgangspunkt für Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen. »Kunsthistoriker, Germanisten, sogar Medizinhistoriker«, zählt Gräf auf. Und es entstand eine Ausstellung, die im November in Thelotts Heimatstadt eröffnet wurde.
Gezeigt wird dort auch die Leihgabe aus Grünberg, die den Stein ins Rollen brachte. Und die als Wanderausstellung konzipierte Schau wird auch nach Grünberg kommen. Karin Bautz, Leiterin des Museums im Spital Grünberg, schätzt, dass es Ende 2023 soweit sein wird. Dann kommt auch das Rechnungsbuch dorthin zurück, wo die Recherche begonnen hat.
Der großformatige Band »Von Augsburg nach Frankfurt. Der Kupferstecher Johann Philipp Thelott« von Holger Th. Gräf und Andreas Tacke hat 473 Seiten und enthält zahlreiche Abbildungen. Die Veröffentlichung ist zum Preis für 50 Euro überall im Buchhandel sowie bei der Historischen Kommission für Hessen (hiko-marburg@web.de) erhältlich. (bjn)